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Mutproben

Mutproben

Titel: Mutproben
Autoren: Ole von Beust
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Industrialisierung um sich griffen und die Herrschenden ihre Felle davonschwimmen sahen. »Konservativ« ist letztlich ein Kampfbegriff gegen Veränderung. Ein wertebezogener Antibegriff gegen Veränderung, gegen gesellschaftlichen Wandel. Ein Wandel, der überwiegend durch den technologischen Fortschritt und politisch von links kam. Diese Entwicklung mündete in den Zwanziger- und Dreißigerjahren in einer beinahe panischen, angesichts der Herrschaft Stalins durchaus aber auch nachvollziehbaren Angst vor dem Kommunismus, die letztlich jedoch zum Versagen der Konservativen führte. Nicht alle, aber doch das Gros ließ sich durch die Ideologie der Nazis korrumpieren. Sie machten gemeinsame Sache mit den Nationalsozialisten, was schon mit der Harzburger Front begann, weil sie glaubten, die Nazis schon in den Griff zu bekommen. Die Konservativen schlossen also den Pakt mit dem Teufel, bezogen aus der gemeinsamen Abneigung gegen Kommunisten und Weimar und verloren darüber ihre Haltung. Das politische Konservative hatte somit versagt. Mit Ausnahme weniger, die am 20. Juli beteiligt waren. Zwar versuchten die Konservativen nach dem Krieg, sich eine neue Wertebezogenheit aufzuerlegen, sowohl gegen Links als auch gegen Rechts und explizit gegen die Nazis. Aber sie waren seit der Anpassung des organisierten Konservatismus diskreditiert.
    Das politische Konservative, vor allem in seinen Ambitionen gegen den Kommunismus, verlor an Kraft und Glaubwürdigkeit.
Zwar hat der Kalte Krieg manches Defizit verdeckt, spätestens nach dem Fall des Eisernen Vorhangs war das Dilemma aber da. Übrig blieb ein philosophischer Konservatismus. Der Gedanke des Bewahrens also, das Festhalten an dem, was ist, bevor man sich auf etwas Neues einlässt. Dies paart sich mit gewissen Werten, die die Konservativen gerne für sich beanspruchen. Werte und Tugenden wie Fleiß, Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit und Sparsamkeit. Doch all dies sind Werte, die von einer politischen Weltanschauung eigentlich unabhängig sind. Es sind Haltungen, die man mit praktisch jeder Ideologie für sich beanspruchen kann. Vermutlich gab es genauso sparsame Nazis, wie es pünktliche Kommunisten gab. Heute gibt es ebenso fleißige Linke wie zuverlässige Grüne. Was also originär konservativ bleibt, ist der Anspruch des Bewahrens. Dieser aber ist in Zeiten globaler Veränderung kaum mehr durchzuhalten.
    Von allen Seiten hört man jedoch heute den Ruf nach einer Renaissance des Konservativen. Die Angst vor einer ungewissen Zukunft und einer immer undurchsichtiger werdenden Welt scheint die Sehnsucht nach konservativen Gedankenspielen zu beflügeln. Diesem Anspruch gerecht zu werden, das ist das große Problem der Konservativen. Sie wollen etwas bewahren, das es real schon lange nicht mehr gibt, und ihnen fehlen die nötigen Werkzeuge, um die bereits mit voller Wucht eingesetzten Entwicklungen aufzuhalten. Der Gestaltungsbegriff ist heute erheblich schwieriger geworden. Zu viele verschiedene nationale und globale Interessen laufen nun zusammen, zu große Kompromisse müssen geschlossen werden.
Das Kernthema also der Konservativen, das Gestaltenwollen gegen eine Veränderung, ist unlösbar geworden.
    Fehlendes Charisma
    Es gibt einen weiteren Punkt, der das Dilemma der Konservativen aufzeigt. Es ist das Fehlen von Lichtgestalten, die das Konservative symbolisieren. Früher waren es die Fürsten oder der Kaiser, die solche symbolische Wirkung hatten, später dann Politiker wie Alfred Dregger oder Franz Josef Strauß. Doch in Zeiten medialer Transparenz werden diese Lichtgestalten unmöglich. Eine Lichtgestalt unterliegt dem Anspruch des Unfehlbaren. Kein Mensch aber ist unfehlbar. Gut zu beobachten war dies bei Karl-Theodor zu Guttenberg. Er wurde als der »neue« Konservative hochgelobt, er war Aristokrat, hatte ein tadelloses Auftreten gepaart mit den entsprechenden Umgangsformen. Er war das, was sich die konservative Gemeinde unter einem musterhaften Konservativen vorstellt, und so wurde er zur neuen charismatischen Ikone. Ganz unschuldig war er selbst daran natürlich nicht. Er pflegte sein Image und ließ sich entsprechend für die Presse inszenieren. Aber heutige Medien durchleuchten wie nie zuvor jede öffentliche Person, und so fand man auch bei Guttenberg entsprechende Makel, die ich nicht rechtfertigen will. Doch vor dreißig Jahren wäre man vermutlich noch nonchalant darüber hinweggegangen. So wie man über die verschiedenen Affären Willy Brandts hinweggegangen
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