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Mutproben

Mutproben

Titel: Mutproben
Autoren: Ole von Beust
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formulieren?

    Die CDU hat heute das Problem mit dem Konservativen, wie es die SPD vor zehn Jahren hatte mit dem Begriff des demokratischen Sozialismus. Zum Kern der SPD gehörte es, auf nationaler oder regionaler Ebene staatliche und gesellschaftliche Maßnahmen zu fordern und zu verwirklichen, die die aus ihrer Sicht bestehenden Ungerechtigkeiten zwischen Oben und Unten, zwischen Arm und Reich mildern oder ausgleichen sollten. Die SPD verstand sich als die »Partei der kleinen Leute«.
Die Globalisierung, der internationale Wettbewerb, das hat dazu geführt, dass nationalstaatliche Maßnahmen kaum noch wirken können, weil die Ökonomie, und damit ein Großteil des Arbeitsmarktes, internationalen Bedingungen folgt.
    Das Sozialsystem wurde reformiert (Hartz IV), um diesem internationalen Wettbewerb Rechnung zu tragen. Die Verlagerung von Arbeitsplätzen sollte dadurch gestoppt werden, die deutsche Wirtschaft sollte wettbewerbsfähiger werden. Das hat funktioniert. Aber zu welchem Preis für die SPD? Diese hat ihren Anspruch, die »Partei der kleinen Leute« zu sein, größtenteils verwirkt, weil sie Ideen durchsetzen musste, die ihrer eigenen Geschichte und Philosophie widersprachen.
    Nebenbei: Jetzt versucht die SPD gegenzusteuern – zumindest durch die verbale Distanz zu Hartz IV und die Forderung nach einer Erhöhung des Spitzensteuersatzes. Ökonomisch ist das eher falsch und bringt unter dem Strich wenig, soll aber beruhigen und emotional die »kleinen Leute« zurückholen. Ob das glaubwürdig ist, wird sich zeigen. Nachvollziehbar ist ein solcher Reflex durchaus.
    Das Gleiche trifft die CDU heute in ihrer konservativen Tradition. Die Globalisierung drängt auf neue Wege einer internationalen Wirklichkeit und gesellschaftlicher Veränderungen mit folgenden Entscheidungen: Modernisierung des Bildungswesens, Aufnahme neuer Schulden zur Hilfe anderer Länder, Umbau der Bundeswehr, Stärkung der Frauenrechte, Öffnung des Arbeitsmarktes für Ausländer usw. Das alles sind zwar notwendige Maßnahmen, diese stehen aber konträr zum traditionellen Kern der Union.

    In der Opposition lassen sich solche Entscheidungen noch hinauszögern. In der Regierung allerdings muss man sie treffen, sonst verliert das Land wertvolle Zeit. Viele Menschen werfen den Parteien hier Opportunismus vor. Das Gegenteil aber ist der Fall. Es gehört Mut dazu, die eigene Klientel zu verärgern. Die Frage wird sein: Gelingt es, die Menschen zu überzeugen, oder nicht. Gelingt dies nicht, wird man abgewählt. Das ist zwar für jede Regierungspartei unschön, gehört zu einer gesunden Demokratie aber in jedem Fall dazu.
    Parteien der Zukunft
    Die Frage sollte erlaubt sein, ob man denn überhaupt als Bürger sein Leben lang immer das Gleiche wählen muss, so wie ich es getan habe. Für eine Demokratie ist das eigentlich unsinnig. Klüger ist es doch, von Mal zu Mal zu schauen, welche Partei die eigene Überzeugung gerade am besten vertritt. Die eigene Meinung ist doch nicht starr, sondern ändert sich im Laufe eines Lebens. Genauso verändern sich die Probleme von Jahr zu Jahr, von Jahrzehnt zu Jahrzehnt. Und auch die führenden Köpfe wechseln oder sind für bestimmte Themen prädestiniert und für andere nicht. Das Personal ist somit jeweils neu zu bewerten. Dass eine einzige Partei ein Leben lang stets die eigenen Ansprüche und Bedürfnisse erfüllen kann, ist doch höchst unwahrscheinlich und wäre auch einfach zu viel verlangt.
    Insofern werden auch wir verstärkt eine Entwicklung
vornehmen, die in vielen anderen Ländern bereits deutlich fortgeschrittener ist: dass sich die Parteien nämlich personenorientierter aufstellen müssen. Inhaltlich gleichen sich ihre Programme immer mehr, und es wird zunehmend schwieriger, in einer globalisierten Welt einzelne Positionen herauszuarbeiten. Es wird nicht mehr die Partei X geben, die für jene zehn Punkte steht, und/oder die Partei Y, die für die anderen zehn Punkte steht oder eine gegensätzliche Auffassung vertritt.

    Und doch bin ich, unabhängig vom Pragmatischen, aus ganzem Herzen Christdemokrat. Kein Konservativer. Das »C« in der Union ist es, was diese Partei ausmacht, und damit meine ich nicht das Klerikale, nicht die Nähe zur Kirche. Es sind die Werte, die dahinter stehen.
    Nach dem Jahrhundert der Ideologien haben wir die Erkenntnis erlangt, dass es keinen Himmel auf Erden gibt. Dass kein Zweck jemals unmenschliche Mittel heiligt, auch kein religiöser. Dass niemand die Überlegenheit
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