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Mut Proben

Mut Proben

Titel: Mut Proben
Autoren: Carsten Jasner
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Dinge zu wagen. Dinge, die noch viel schlimmer ins Auge gehen können als das ohnehin schon konfuse Leben, das die meisten von uns derzeit führen.
    Wir leben zwischen Atomkraftwerken und großchemischen Anlagen, die Weltwirtschaft ist beinahe an der Spekulationsfreude von Bankern zugrunde gegangen, und möglicherweise werden wir heute von einem ideologisch verblendeten Menschen in die Luft gesprengt. Warum sollten Risiken unsere Überlebenschancen erhöhen? Wäre nicht etwas mehr Sicherheit angebracht?
    Im Gegenteil, behauptet Trimpop und legt noch ein Scheit drauf: Die Lust am Risiko werde unterdrückt, sagt er. Man könne einen Trieb aber nicht wegdiskutieren. »Risiken minimieren zu wollen, ist unmenschlich.« 17
    Das hat Folgen. Wenn das stimmt, kann man gar nicht überschätzen, was das für unser Leben und die Gesellschaft insgesamt bedeutet. Es würde bedeuten, dass es Unsinn wäre, sich ständig Sorgen um die Sicherheit zu machen. Sich mit Zukunftsängsten zu plagen: zu fürchten, dass der Arbeitsplatz verloren geht, dass das Kind unters Auto gerät, dass der Wohlstand schrumpft. Es würde bedeuten, dass es unsere Natur wäre, die Nerven zu kitzeln, mit der Ungewissheit zu flirten, etwas Neues zu riskieren. Dass wir leben, weil wir wagen. Und wagen, um zu leben.
    Wenn es stimmt, dass wir, ob wir wollen oder nicht, einem inneren Risikotrieb gehorchen, bedeutete das auch, dass irgendetwas im gesellschaftlichen Leben gehörig schiefläuft. Wir, Sie, ich – die meisten von uns zucken zusammen, wenn von Risiken die Rede ist. Man möge keine »unnötigen Risiken« eingehen, heißt es. »Sicherheit hat oberste Priorität.« Ungute Gefühle schwingen mit, wenn wir Dinge entscheiden sollen, die nicht vorhersehbar sind, die gefährlich werden könnten: Scheitern, Versagen, Unfall, womöglich der Tod. Schon das Wort »Risiko« kann Unbehagen bis Übelkeit auslösen. Spätestens seit es Kernkraftwerke gibt, kündet Risiko von einem nicht wahrnehmbaren, ungeheuerlichen Vernichtungspotenzial. Mit einer innerlich getriebenen Lust auf das Ungewisse ist das schwer vereinbar.
    Wenn Trimpop recht hat, dann könnte es sein, dass gigantische, künstlich geschaffene Bedrohungen, Atombomben etwa, unser Bedürfnis nach kleinen, natürlichen Nervenkitzeleien verdrängt. Weil das große Risiko nicht sein darf, versagen wir uns womöglich auch das kleine. Denn wir empfinden heute Risiko als etwas grundsätzlich Schlechtes, das es zu vermeiden gilt. Uns ängstigt alles, was sich nicht vorhersehen lässt – sei es die Berufswahl oder genmanipulierter Mais.
    Beliebt ist »Risiko« höchstens als Brettspiel; seit mehr als fünfzig Jahren wird es weltweit vertrieben. Ziemlich kriegerisch geht es dabei zu: Kontinente sollen erobert, Feinde vernichtet werden. Legendär erfolgreich auch Wim Thoelkes »Risikooooooo!« So hallte es seit 1974 über viele Jahre durchs ZDF -Fernsehstudio, wenn in Der große Preis der Kandidat vor der »Risikowand« eine Quizfrage wählte, bei der er sein gesamtes Kapital auf die richtige Beantwortung setzen konnte. Das was aufregend – schon beim Zuschauen.
    Im Spiel erlauben wir uns, aufs Ganze zu gehen, zu pokern oder das Glück entscheiden zu lassen – im Ernst des Lebens gehen wir auf Nummer sicher. Eine Fehlentscheidung, sagt Trimpop. Sie ist widernatürlich und macht uns das Leben schwer und langweilig.
    16 Interview des Autors mit Rüdiger Trimpop, September 2009.
    17 Blauwat, Katrin: »Volles Risiko«, in: SZ Wissen 18/2007.

Der Chirurg, die Bullen, der Pianist und die Blinde. Abenteuer im Alltag
    Das Highlight an diesem Morgen ist eine Beckenfraktur. Mit einem Becher Kaffee sitzt Oberarzt Tim Grosshard vor der Leuchtwand im Röntgenbild-Vorführraum, die Arme um den mächtigen Brustkorb gelegt, und nickt anerkennend. Sechs Stunden haben die Kollegen der vorangegangenen Schicht gearbeitet, um die Trümmer des Mannes, der von einem Baugerüst gefallen ist, wieder zu dem zusammenzufügen, was den Namen Beckengürtel verdient. Jetzt zeigen sie ihr Werk. Auf der Aufnahme ist der Anteil von Metall etwa so hoch wie der von Knochen: Sie werden von einem knappen Dutzend Lochplatten zusammengehalten, fixiert von rund sechzig Schrauben, die das Becken kreuz und quer durchbohren.
    Die Röntgen-Schau ist Teil der »Übergabe« im Unfallkrankenhaus Duisburg-Buchholz: Der Freitagsdienst erzählt dem frisch angetretenen Samstagsdienst, was in den vergangenen zwanzig Stunden passiert ist. Die Stimmung ist gut, man
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