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Mut Proben

Mut Proben

Titel: Mut Proben
Autoren: Carsten Jasner
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statt.« 172 Wir würden uns an Vorschriften halten, und wenn etwas schiefgehe, suchen wir einen Schuldigen. »In der Natur kommen wir mit dieser Strategie nicht weiter.« Wir müssen selbst achtgeben.
    Der Bergführer war mit Jugendlichen, Erwachsenen und suchtkranken Menschen unterwegs, er hat bei ihnen und an sich selbst beobachtet, wie in der Natur die innere Ruhe zunimmt, Selbstvertrauen wächst. Ein Gefühl, eingebettet zu sein, stellt sich ein, die Verbundenheit mit etwas Dauerhaftem.
    In der Natur erfahren wir, »dass sie stabiler ist als wir, in längeren Zyklen atmet. Ein Ort bleibt dort oft über Generationen gleich. Dadurch bekommt unser Leben Stabilität.«
    Kein Wunder, dass wir schnell Glücksgefühle ernten, wenn wir durch die Natur streifen. Wandern, Tiere beobachten, Ski fahren, vielleicht sogar blind Gipfel erklimmen wie die Marathonläuferin Regina Vollbrecht. Manche Herausforderungen sind leicht zu meistern, für andere müssen wir jahrelang trainieren, bis sich das Gefühl fließenden Könnens einstellt. In jedem Fall, so Schwiersch, erleben wir »die Wucht der Natur, die uns nicht zerstört, die wir gerade noch aushalten«. Ein Ritt an der Grenze zwischen Kontrolle und Kontrollverlust.
    Als Kind bin ich oft durch die Fußgängerzone geritten – auf dem Fahrrad im Slalom um Passanten herum und so schnell wie möglich. Die Passanten fanden das natürlich doof, aber ich fühlte mich großartig. Auch heute mache ich das ab und zu; nicht mehr um Fußgänger herum, ich fahre Schlängellinien in einer Allee, und sofort stellt sich das schwindelnde, schwingende Gefühl aus meiner Kindheit ein. Dass ich dabei gegen die Straßenverkehrsordnung verstoße, hat auch seinen Reiz.
    Aus dem »zu neunundneunzig Prozent« geregelten Raum können wir ausbrechen, sollten wir sogar, um der Angst, etwas falsch zu machen, ein Schnippchen zu schlagen. Ein Freund von mir besucht ab und zu Veranstaltungen von extremen linken oder rechten politischen Gruppen, weil er nicht nur in der Zeitung lesen, sondern »spüren« will, wie die Schlauen argumentieren und die Dummen johlen. Ich selbst war mal bei einer Ortsversammlung der Grünen. Seither bewundere ich die Geduld aktiver Demokraten, sich durch Tagesordnungspunkte und Tagesordnungsunterpunkte zu kämpfen. Und weiß, dass das für mich nichts ist.
    Bei Mutproben, egal welcher Art, passiert Unvorhergesehenes – und wenn wir aufmerksam sind, nichts, was uns schadet oder gar tötet. Die größte »Gefahr« besteht, dass wir nach einer Erfahrung Dinge anders betrachten als zuvor, mit anderen Worten: dass wir klüger werden.
    »Das Gefährlichste im Leben ist, sich in Gewohnheit und Sicherheit zu wiegen«, sagt der Abenteurer, Ballonfahrer und Psychiater Bertrand Piccard 173 . Genau das passiere in modernen Gesellschaften, die ihren Mitgliedern zu wenig Eigenverantwortung zugestehen. Man begegne ständig Risiken. »Abenteuer können für diesen Ernstfall schulen. Sie lehren, das Potenzial zu mobilisieren, das in jedem von uns steckt.«
    Wobei ein Abenteuer jede Situation sei, die anders ist als unser Alltag – wenn man sich zum Beispiel einen neuen Job suchen muss. Dann, so Piccard, »hat man die Wahl: Sieht man sich als Opfer der Verhältnisse? Oder sagt man sich: Nun, ein Abenteuer! Was muss ich tun, um es zu bestehen?«
    Wie schon Goethe sagte: Werde, was du bist.
    Wie wird man zu Beispiel Feuerwehrmann? Er muss lernen, mit Rauch, Flammen und Gasen in engen Räumen zurechtzukommen; Technik zu bedienen, Abläufe mit den Kollegen einüben; muss entscheiden, wann er ein brennendes Haus betreten kann und wann er ganz schnell rausflitzen sollte. Er wächst mit seinem Wissen, bis er riskieren kann, andere zu retten.
    Ich habe eine Zeit lang geträumt, wie meine Kinder vor meinen Augen im See ertrinken; ich stehe daneben oder springe hinterher, aber bekomme sie nicht zu fassen. Der Traum kehrte immer wieder, er machte mir Angst. Bei der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft habe ich schließlich einen Kurs zum Rettungsschwimmer belegt. Das hat Spaß gemacht, auch weil ich unter der Dusche interessante Gespräche geführt habe mit Menschen, die ich anderweitig nie kennengelernt hätte. Jetzt genieße ich es, im Sommer mit meinen Kindern durch den See zu schwimmen. Ich weiß, wenn es drauf ankommt, bringe ich sie heil zurück ans Ufer.
    Unterm Polizeihubschrauber
    Nirgendwo ist festgelegt, welcher Risikotyp wir sind. Wir können uns selbst bestimmen, unsere Lust am Ungewissen
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