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Mut Proben

Mut Proben

Titel: Mut Proben
Autoren: Carsten Jasner
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steigern. Mut ist trainierbar.
    Von Nutzen sind sympathische, couragierte Menschen in unserer Umgebung. Eltern zum Beispiel. Studien zeigen, dass Kinder ähnlich risikobereit sind wie ihre Eltern. 174 Das mag zu einem kleinen Teil an den Genen liegen, vor allem aber daran, was Vater und Mutter vorleben.
    Kinder müssen sich Kratzer holen dürfen und in den Bach fallen, durch Büsche kriechen und auf Bäume klettern. Sie müssen Spinnen fangen, Bälle wegschießen, in fremde Gärten schleichen, Bälle zurückholen, Verstecke finden, sich mit anderen Kindern streiten.
    Leider halten sie sich nur allzu häufig zu Hause auf, in ihrem ganz persönlichen Indoor-Spielplatz. Vielen Eltern ist das recht – so behalten sie die Kontrolle.
    Wie Polizeihubschrauber kreisen Vater und Mutter über der Brut, die im Verdacht steht, das Falsche zu tun, sobald man nicht hinschaut. Persönlicher Ehrgeiz stachelt die Eltern an, aber noch mehr Angst. Angst, dass das Kind vors Auto rennt oder entführt wird, später mal keine Arbeit findet und Drogen nimmt.
    So bekämpfen sie die unsichere Zukunft vorausschauend, indem sie die Gegenwart der Kinder detailliert verplanen. Die Kleinen werden gerüstet mit allem, was die ahnungsvollen Erzieher für relevant halten. Kutschieren ihre Hoffnungsträger von der musikalischen Früherziehung zum Chinesisch, vom Fechten zum Geigenunterricht, vom Nachhilfeunterricht zum Malkurs. Und anschließend zum Therapeuten wegen dieses unangenehmen Aufmerksamkeitsdefizit-Syndroms.
    Auf diese Weise geschieht das Gegenteil des Gewünschten: Kinder übernehmen Ängste, die sie natürlicherweise nie hätten, streben viel zu früh nach eingeflüsterten Sicherheiten, die sie nicht erreichen können, weil es sie nicht gibt. Sie verzweifeln. Um hingegen wirkliche Sicherheit zu spüren, müssen sie eigene Erfahrungen sammeln. Das ist die Mutprobe für die Eltern: Ihre geliebte Brut ohne Aufsicht durch eine nach und nach größer werdende Welt streifen zu lassen. Damit die sie mit allen Sinnen erleben, sie sich vertraut machen können. So bekommen sie, was Erwachsene »Schutzengel« nennen, was tatsächlich aber bodennah im Menschen wohnt: ein Gefühl für Gefahren, für das eigene Können, für den Umgang mit Herausforderungen.
    Ein gutes Beispiel ist George Soros, bewundert wie angefeindet, weil er seit über vierzig Jahren mit Milliardensummen erfolgreich spekuliert. Er kombiniert Beobachtung mit Analyse, Spaß am Risiko mit Vorsicht. Vorbild für seinen Wagemut sei sein Vater, sagt er. Von ihm habe er als Kind gelernt, »dass es sicherer ist, etwas zu riskieren, als passiv zu sein«. 175
    George war vierzehn, als die jüdische Familie Soros 1944 aus dem nationalsozialistisch besetzten Budapest fliehen musste. Der Vater war Anwalt, Anhänger der internationalen Kunstsprache Esperanto und »Kaffeehaus-Löwe«. Mit Schneid und Charme, erzählt der Sohn, besorgte er falsche Papiere und rettete die Familie vor Verhaftung und Vernichtung. Später schrieb Tivadar Soros Maskerade: Die Memoiren eines Überlebenskünstlers. Das gefährliche, aber auch lustvolle Spiel gegen alle Widrigkeiten hat den inzwischen einundachtzigjährigen Sohn geprägt.
    Familien wie die Soros konnten fliehen, weil Einzelne ihnen geholfen haben. In Deutschland haben zur Zeit des Nationalsozialismus schätzungsweise dreißig- bis vierzigtausend Menschen 176 verfolgte Juden unterstützt: ihnen Unterschlupf gewährt oder beschafft, Lebensmittelkarten besorgt oder falsche Papiere. Sie riskierten ihr Leben. Doch die wenigen, die später namentlich bekannt wurden, sagen, es sei für sie selbstverständlich gewesen zu helfen. Sie hätten nicht lange darüber nachgedacht. Und wären sich auch nicht besonders heldenhaft vorgekommen. Sie handelten intuitiv.
    Sie handelten mit dem Optimismus von Glückspilzen. Sie werden kurz die Gefahren abgewogen haben, aber ihre Intuition dürfte ihnen gesagt haben: Ja, natürlich musst du helfen – wenn es Moral gibt im Leben, Mitgefühl oder Anstand, dann hier durch dich oder gar nicht.
    Die Intuition macht solche Empfehlungen allerdings nur, wenn das Unterbewusstsein bereits abenteuerliche Erfahrungen gesammelt hat, gepaart mit guten Gefühlen.
    Im Angesicht des Todes
    Die amerikanische Reporterin Amanda Ripley hat mit Überlebenden von Terroranschlägen, Geiseldramen, Flugzeugabstürzen und Naturkatastrophen gesprochen und weiß Beruhigendes zu berichten. 177 Es sei eine Mär, dass Menschen sich bei Katastrophen in eine
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