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Muster - Steffen-Buch

Muster - Steffen-Buch

Titel: Muster - Steffen-Buch
Autoren: Raidy
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der Ecke, wo er mehrere Seiten heruntertippt. Ich beobachte ihn aufmerksam, während ich meine Kekse genieße. Ich lasse sie mir so langsam wie möglich auf der Zunge zergehen, da ich nicht weiß, wann ich wieder etwas zu essen bekommen werde.
    Es ist nach ein Uhr mittags, als der Polizist mit dem Papierkram fertig ist. Er fragt mich noch einmal nach meiner Telefonnummer.
    »Warum?«, jammere ich.
    »Ich muss sie anrufen, David«, sagt er sanft.
    »Nein!«, wehre ich mich. »Schicken Sie mich in die Schule zurück.
    Verstehen Sie denn nicht? Sie darf nicht herauskriegen, dass ich Ihnen alles gesagt habe!«
    Er gibt mir noch einen Keks, um mich zu beruhigen, und wählt langsam die 7-5-6-2-4-6-0. Ich beobachte die schwarze Drehscheibe, während ich aufstehe und auf ihn zugehe. Ich spanne jeden Muskel in meinem Körper an bei dem Versuch, das Telefon am anderen Ende klingeln zu hören. Mutter nimmt den Hörer ab. Ihre Stimme macht mir Angst. Der Polizist bedeutet mir, einen Schritt zurückzutreten und holt tief Luft, bevor er sagt: »Mrs. Pelzer, hier spricht Officer Smith von der Polizeiwache von Daly City. Ihr Sohn David kommt heute nicht nach Hause. Wir übergeben ihn der Obhut des Jugendamts in San Mateo.
    Wenn Sie irgendwelche Fragen haben, können Sie dort anrufen.« Er legt auf und lächelt. »Das war doch gar nicht so schlimm, oder?«, sagt er zu mir. Doch sein Gesichtsausdruck spricht Bände. Er beschwichtigt eher sich selbst als mich.
    Nach ein paar Meilen sind wir auf dem Highway 280 und nähern uns der Stadtgrenze von Daly City. Ich schaue aus dem Seitenfenster und lese auf einem Schild »DER SCHÖNSTE HIGHWAY DER WELT«.
    Der Polizist lächelt erleichtert, als wir die Stadt hinter uns gelassen haben. »David Pelzer«, sagt er, »du bist frei.«
    »Was?«, frage ich, während ich meine kostbare Kekspackung um-klammere. »Ich verstehe nicht. Bringen Sie mich nicht ins Gefängnis?«
    Wieder lächelt er und knufft mich behutsam in die Schulter. »Nein, David. Du brauchst dich vor nichts zu fürchten, ehrlich. Deine Mutter wird dir nie wieder wehtun.«
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    Ich lehne mich in meinen Sitz zurück. Die Sonne blendet mich. Ich wende mich ab und mir läuft eine Träne die Wange hinunter.
    »Ich bin frei?«
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    2.

Gute Zeiten
    In den Jahren, die der Zeit, in der ich misshandelt wurde, voraus-gingen, war meine Familie wie die »Brady Bunch«, die glückliche TV-Familie der Sechzigerjahre. Meine zwei Brüder und ich waren mit perfekten, äußerst liebevollen und fürsorglichen Eltern gesegnet.
    Wir lebten in einem bescheidenen Haus mit vier Zimmern, in einer Gegend von Daly City, die als »gutes« Stadtviertel galt. Ich kann mich noch daran erinnern, wie ich an klaren Tagen aus dem zur Küste hin-ausgehenden Wohnzimmerfenster geschaut habe, um die orangeroten Pfeiler der Golden Gate Bridge und die atemberaubende Skyline von San Francisco zu bestaunen.
    Mein Vater, Stephen Joseph, verdiente den Unterhalt für unsere Familie als Feuerwehrmann im Herzen von San Francisco. Er war etwa ein Meter achtzig groß, hatte breite Schultern und einen Bizeps, bei dem alle Bodybuilder vor Neid erblassten. Seine Augenbrauen waren, wie seine Haare, dicht und schwarz. Er gab mir das Gefühl, etwas Besonderes zu sein, wenn er mir zuzwinkerte und mich »Tiger« nannte.
    Meine Mutter, Catherine Roerva, war von durchschnittlichem Kör-perbau und Aussehen. Ich konnte nie genau sagen, was sie für eine Haar- und Augenfarbe hatte, wenn mich jemand danach fragte, aber Mom war eine Frau, die viel Liebe ausstrahlte. Ihr größter Vorzug war ihre Entschlossenheit. Sie sprudelte vor Ideen und nahm immer alle Familienangelegenheiten in die Hand. Als ich vier oder fünf Jahre alt war, sagte Mom einmal, dass es ihr nicht gut gehe, und ich erinnere mich daran, dass sie überhaupt nicht mehr sie selbst war. Es war ein Tag, an dem Vater in der Feuerwehr Dienst hatte. Nach dem Abendessen sprang sie vom Tisch auf, um die Treppe zur Garage zu streichen, und hustete die ganze Zeit, während sie die Stufen, die zur Garage hinunterführten, frenetisch mit Farbe bepinselte. Die Farbe war noch nicht ganz trocken, da legte Mom schon Gummimatten auf die Stufen.
    Danach waren sowohl die Matten als auch Mom über und über mit roter Farbe beschmiert. Als sie fertig war, ging Mom ins Haus zurück und ließ sich auf die Couch fallen. Ich erinnere mich, dass ich sie fragte, warum sie die Matten verlegt hatte, obwohl die Farbe noch nicht troc 15

    ken gewesen war.
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