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Muster - Steffen-Buch

Muster - Steffen-Buch

Titel: Muster - Steffen-Buch
Autoren: Raidy
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Geheimnis schon, und ich weiß, dass sie es herausfinden wird. Eine sanfte Stimme beruhigt mich. Ich glaube, es ist Miss Woods. Sie sagt mir, dass es in Ordnung sei. Ich hole tief Luft, ringe die Hände und erzähle ihnen von Mutter und mir. Dann zwingt mich die Krankenschwester dazu, aufzustehen und dem Polizisten die Narbe auf meinem Oberbauch zu zeigen. Ohne zu zögern erzähle ich ihnen, dass es ein Unfall war. Es war in der Tat ein Unfall - Mutter hatte nie vorgehabt, mit dem Messer zuzustechen.
    Ich weine, während die Worte aus mir heraussprudeln und ich ihnen erzähle, dass Mutter mich bestraft, weil ich ungezogen bin. Ich wünschte, sie würden mich in Ruhe lassen. Ich fühle mich sterbenselend. Nach all diesen Jahren weiß ich, dass mir niemand helfen kann.
    Ein paar Minuten später werde ich ins Sekretariat entlassen. Als ich in der Tür stehe, sehen die Erwachsenen mich an und nicken anerken-nend mit dem Kopf. Ich rutsche auf meinem Stuhl herum, während ich die Sekretärin beim Tippen beobachte. Es kommt mir wie eine Ewigkeit vor, bis Mr. Hansen mich wieder ins Lehrerzimmer ruft. Miss Woods und Mr. Ziegler machen einen glücklichen, aber zugleich besorgten Eindruck. Miss Woods kniet nieder und schließt mich in die Arme. Ich glaube, ich werde nie vergessen, wie herrlich ihre Haare dufteten. Sie lässt mich los und wendet sich ab, damit ich sie nicht weinen sehe. Jetzt mache ich mir wirklich Sorgen. Mr. Hansen überreicht mir ein Tablett mit Mittagessen aus der Cafeteria. »Mein Gott! Ist es schon Mittag?«, frage ich mich.
    Ich schlinge das Essen so schnell hinunter, dass ich kaum wahr-nehme, wie es schmeckt. In Rekordzeit habe ich alles aufgegessen. Der Direktor bringt mir noch eine Packung Kekse und ermahnt mich, nicht so schnell zu essen. Ich habe keine Ahnung, was hier im Busch ist. Eine 11

    meiner Vermutungen ist, dass mein Vater, der sich von meiner Mutter getrennt hat, gekommen ist, um mich zu holen. Aber ich weiß, dass das nur eine Wunschvorstellung ist. Der Polizist fragt nach meiner Adresse und Telefonnummer. »Jetzt ist alles aus!«, denke ich. »Die Hölle hat mich wieder! Ich werde es wieder von ihr abkriegen!«
    Der Polizist schreibt mit, während Mr. Hansen und die Schulkrankenschwester ihm berichten, was sie wissen. Dann klappt er sein Notiz-buch zu und sagt, dass er nun genügend Informationen gesammelt habe. Ich sehe zum Direktor auf. Auf seiner Stirn stehen Schweißperlen.
    Mir dreht sich der Magen um. Ich habe das Gefühl, mich gleich übergeben zu müssen.
    Mr. Hansen öffnet die Tür, und all die Lehrer, die jetzt Mittagspause haben, starren mich an. Ich schäme mich in Grund und Boden.
    »Sie wissen es«, denke ich. »Sie kennen die Wahrheit über meine Mutter; die nackte Wahrheit.« Es ist so wichtig für mich, dass sie wissen, dass ich kein schlechter Junge bin. Ich wünsche mir so sehr, ge-mocht, geliebt zu werden. Ich wende mich um und sehe, wie Mr. Ziegler Miss Woods den Arm um die Schultern legt. Sie weint. Ich kann sie schniefen hören. Sie umarmt mich noch einmal und wendet sich dann schnell ab. Mr. Ziegler schüttelt mir die Hand. »Sei ein guter Junge«, sagt er. »Ja, Sir. Ich werde es versuchen«, ist alles, was mir über die Lippen kommt.
    Die Schulkrankenschwester steht stumm neben Mr. Hansen. Sie sagen mir alle auf Wiedersehen. Jetzt weiß ich, dass ich ins Gefängnis komme. »Gut«, denke ich. »Zumindest kann sie mich nicht schlagen, wenn ich im Gefängnis bin.«
    Der Polizist und ich gehen an der Cafeteria vorbei auf den Schulhof. Die anderen Kinder aus meiner Klasse spielen Völkerball. Einige hören auf zu spielen und schreien: »David wird eingelocht! David wird eingelocht!« Der Polizist tippt mir auf die Schulter und sagt mir, dass alles gut werden wird. Als er mit mir die Straße hinauffährt und wir die Thomas-Edison-Grundschule hinter uns lassen, sehe ich einige Kinder, die mir erschrocken hinterherstarren. Vor unserer Abfahrt hat Mr.
    Ziegler mir gesagt, dass er den anderen Kindern die Wahrheit erzählen würde - die nackte Wahrheit. Wie gerne wäre ich dabei gewesen, als sie erfuhren, dass ich doch nicht so schlecht bin.
    Nach ein paar Minuten erreichen wir die Polizeiwache von Daly City. Da ich irgendwie erwarte, dass Mutter da ist, will ich nicht aus 12

    dem Auto aussteigen. Der Polizist öffnet die Tür, fasst mich behutsam am Ellbogen und führt mich in ein großes Büro. Niemand sonst ist in dem Zimmer. Der Polizist setzt sich auf einen Stuhl in
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