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Muster - Steffen-Buch

Muster - Steffen-Buch

Titel: Muster - Steffen-Buch
Autoren: Raidy
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überleben, nicht brechen.
    Ich erledige den Abwasch und dann meine anderen Aufgaben. Zur Belohnung bekomme ich ein Frühstück - das, was einer meiner Brüder von seinen Frühstückscerealien übrig gelassen hat. Heute gibt's Lucky Charms. Es sind nur noch ein paar Krümel in einer halben Schale Milch übrig, aber ich schlinge alles, so schnell ich kann, hinunter, ehe Mutter es sich anders überlegt. Das ist schon öfter passiert. Mutter liebt es, Essen als Waffe einzusetzen. Sie ist nicht so dumm, Essensreste in den Mülleimer zu werfen. Sie weiß, dass ich sie später wieder raushole. Mutter kennt die meisten meiner Tricks.
    7

    Minuten später sitze ich im alten Kombi der Familie. Weil ich mit meinen Verrichtungen so spät fertig geworden bin, muss Mutter mich zur Schule fahren. Normalerweise renne ich zur Schule und schaffe es gerade noch, zum Unterrichtsbeginn da zu sein, so dass mir keine Zeit bleibt, etwas aus den Lunchboxen der anderen Kinder zu stehlen.
    Mutter setzt meinen ältesten Bruder ab, aber mit mir fährt sie noch ein Stück weiter, um mir einen Vortrag über ihre Pläne für morgen zu halten. Sie wird mich zu ihrem Bruder bringen. »Onkel Don wird sich um dich kümmern«, sagt sie und lässt es wie eine Drohung klingen. Ich werfe ihr einen ängstlichen Blick zu, weil ich wirklich Angst habe.
    Doch ich weiß, dass mich mein Onkel, auch wenn er ein knallharter Bursche ist, sicher nicht so behandeln wird wie Mutter.
    Noch bevor der Kombi ganz zum Stehen gekommen ist, mache ich, dass ich hinauskomme. Mutter pfeift mich zurück. Ich habe meine zerknitterte Lunchtüte vergessen, die seit drei Jahren jeden Tag das Gleiche enthält - zwei Erdnussbutterbrote und ein paar Möhrenstreifen.
    Ehe ich mich wieder verdrücken kann, befiehlt sie: »Sag ihnen... Sag ihnen, dass du gegen die Tür gerannt bist.« Dann fügt sie in einem Ton, in dem sie selten mit mir spricht, hinzu: »Schönen Tag noch.« Ich schaue in ihre geschwollenen, blutunterlaufenen Augen. Sie hat immer noch einen Kater von der Sauferei von gestern Abend. Ihr einst schö-
    nes, glänzendes Haar ist jetzt nur noch eine verfilzte Mähne. Wie ge-wöhnlich trägt sie kein Make-up. Sie ist zu dick, und sie weiß es. Alles in allem ist dies mittlerweile Mutters typisches Aussehen.
    Weil ich zu spät gekommen bin, muss ich mich im Sekretariat mel-den. Die grauhaarige Sekretärin begrüßt mich mit einem Lächeln.
    Augenblicke später kommt die Schulkrankenschwester und führt mich in ihr Büro, wo wir unsere Routineprozedur durchlaufen. Zuerst untersucht sie mein Gesicht und meine Arme. »Was ist denn das da über deinem Auge?«, fragt sie.
    Ich senke verschämt den Kopf. »Ach, ich bin gegen die Schultür gerannt... aus Versehen.«
    Sie lächelt und nimmt ein Klemmbrett von einem Schrank. Sie über-fliegt ein oder zwei Seiten und beugt sich anschließend zu mir hinunter, um mir eine Eintragung zu zeigen. »Hier.« Sie zeigt auf das Blatt. »Das hast du letzten Montag auch gesagt. Erinnerst du dich?«
    Ich erzähle schnell eine andere Geschichte. »Ich hab Baseball gespielt und den Schläger an den Kopf gekriegt. Es war ein Unfall.«
    8

    Ein Unfall. Das soll ich immer sagen. Doch die Krankenschwester weiß es besser. Sie bearbeitet mich so lange, bis ich mit der Wahrheit her-ausrücke. Am Ende werde ich immer weich und gestehe alles, auch wenn ich das Gefühl habe, dass ich meine Mutter schützen sollte.
    Die Krankenschwester sagt, dass die Wunde wieder heilen wird und bittet mich, meine Kleider auszuziehen. Da ich diese Prozedur bereits zur Genüge kenne, gehorche ich sofort. Mein langärmeliges T-Shirt hat mehr Löcher als ein Schweizer Käse. Seit zwei Jahren trage ich es tagein, tagaus. Mutter zwingt mich dazu. Es ist ihre Art, mich zu demü-
    tigen. Mit meiner Hose sieht's auch nicht besser aus und bei meinen Schuhen schauen die Zehen heraus. Ich kann meinen großen Zeh aus einem Schuh herausstrecken. Während ich nur in Unterwäsche dastehe, notiert sich die Krankenschwester die verschiedenen Schrammen und blauen Flecken, die ich habe, auf einem Blatt. Sie zählt die Wunden in meinem Gesicht, um festzustellen, ob ihr zuvor vielleicht welche ent-gangen sein könnten. Sie ist sehr gründlich. Als Nächstes öffnet die Krankenschwester meinen Mund, um sich meine Zähne anzuschauen.
    Sie sind abgebrochen, als Mutter mich in der Küche mit dem Kopf gegen die Arbeitsfläche gestoßen hat. Sie wirft noch ein paar Notizen aufs Papier. Als sie mich
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