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Muße: Vom Glück des Nichtstuns (German Edition)

Muße: Vom Glück des Nichtstuns (German Edition)

Titel: Muße: Vom Glück des Nichtstuns (German Edition)
Autoren: Ulrich Schnabel
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das in dem einen Beruf leichter als im anderen. Doch einen gewissen (wenn vielleicht auch kleinen) Freiraum findet man in nahezu jeder Situation.
    »Egal, wie hoch der Arbeitsdruck auch immer sein mag, es gibt immer Spielräume, die man nutzen kann«, sagt etwa der Psychologe und Psychotherapeut Ludwig Schindler. »Man muss sich nur dafür öffnen und es wagen, scheinbar eherne Gesetze in Frage zu stellen.« Der Professor für Klinische Psychologie an der Universität Bamberg berät als Coach und Therapeut in seiner Praxis in München viele Opfer der Beschleunigungsgesellschaft – Patienten, die unter permanentem Stress, unter Burn-out, Panikattacken, Schlafstörungen oder Depressionen leiden. Dabei helfe es den meisten seiner Klienten schon enorm, »wenn sie das Gefühl haben, da hört mir einer zu, der mich nicht aburteilt, sondern Verständnis für mich hat und ähnliche Fälle kennt«, sagt Schindler. Denn es gehöre nun einmal zum System, »dass jeder so tut, als ginge es ihm prächtig, als seien Schwächen nur etwas für Verlierer«.
    Verständnis alleine reicht aber nicht. Der Therapeut muss seinen Patienten auch Möglichkeiten aufzeigen, wie sie den Stress verringern und sich Luft zum Durchatmen verschaffen können. Einer von Schindlers Klienten klagte zum Beispiel darüber, dass er immer stundenlang in Meetings sitzen müsse, die nur der Selbstdarstellung des monologisierenden Chefs dienten und eigentlich verlorene Zeit seien. Doch kein Untergebener wagte es, diesen Treffen fernzubleiben, weil jeder fürchtete, es könne ihm negativ ausgelegt werden. »Mein Job ist es dann zu fragen: Was passiert denn nun wirklich, wenn Sie während des Meetings von Ihrer Sekretärin wegen eines wichtigen Telefongesprächs herausgerufen werden? Oder wenn Sie eben doch einmal einen Vertreter schicken?«, erzählt Schindler. Wenn man auf diese Weise gemeinsam nachdenke, eröffneten sich meistens Freiheitsgrade, die vorher gar nicht gesehen wurden. Wenn ein Klient auf diese Weise erlebe, dass er sich selbst in einer scheinbar ausweglosen Situation Freiräume eröffnen könne, sagt der Psychologe, »findet er auch den Mut zu grundlegenderen Kurskorrekturen.«
    Ist das Gefühl erst einmal geweckt, dem Arbeitsstress nicht völlig hilflos ausgeliefert zu sein, kann man darüber nachdenken, wie sich der Job anders strukturieren ließe. In vielen Berufen ist zum Beispiel die ständige Präsenz am Arbeitsplatz gar nicht mehr unbedingt notwendig. Schließlich ermöglichen es Internet, E-Mail und Videokonferenzen mittlerweile, überall erreichbar zu sein – selbst in einem Strandcafé, unter Palmen oder im Stadtpark. Setzt man die moderne Technik klug ein, lassen sich dem starren Büroalltag zum Teil ungeahnte Freiheitsgrade abgewinnen.
    Dass diese easy economy bereits einen neuen Trend darstellt, beschreibt der Journalist Markus Albers in seinem Buch Morgen komm ich später rein . 7 Anhand zahlreicher Beispiele schildert er, dass der klassische 9-to-5 -Arbeitstag zunehmend passé ist. Stattdessen setzt sich in immer mehr Firmen die Erkenntnis durch, dass es bei der Arbeit nicht auf die Zahl der am Schreibtisch abgesessenen Stunden ankommt, sondern letztlich auf das Arbeits ergebnis – egal, wo dieses erzielt wird.
    Viele machen dabei eine ähnliche Erfahrung wie der von Albers interviewte Controller Volker Schriefer, der eines Tages seinen Zehnstundentag in einer internationalen Firma satthatte und sich einen anderen Arbeitgeber suchte, der ihm mehr Freiheiten ließ. Heute, so erzählt Schriefer, erledige er einen Großteil seiner Arbeit zuhause im Heimbüro, wo der ganze »politische Beziehungs- und Organisationsaspekt« des Firmenlebens wegfalle; er werde nicht ständig abgelenkt von Kollegen oder Telefonanrufen, müsse nicht mehr stundenlang in ergebnislosen Konferenzen sitzen, habe viel mehr Distanz zu seinen E-Mails und könne sich endlich wirklich auf die Arbeit konzentrieren, schwärmt Schriefer. »Und plötzlich bringt es enorm Spaß zu arbeiten, wie ich erstaunt feststelle.« 8
    Um diesen paradiesischen Zustand des »Frei-Angestelltseins« zu erlangen, ist eine Kündigung meist gar nicht notwendig. Wichtig ist es vielmehr, den ersten Schritt überhaupt erst zu wagen und die Frage der Arbeitsorganisation gegenüber Vorgesetzten einmal anzusprechen. Denn oft lassen die Strukturen in der eigenen Firma mehr Flexibilität zu, als man denkt. Und häufig ist es gar nicht die (angenommene) Verbohrtheit unserer Chefs, sondern
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