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Muße: Vom Glück des Nichtstuns (German Edition)

Muße: Vom Glück des Nichtstuns (German Edition)

Titel: Muße: Vom Glück des Nichtstuns (German Edition)
Autoren: Ulrich Schnabel
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die Zeit fließen. Sie werden merken: Das verändert automatisch auch den Blick auf Ihre Umgebung. Diese Strategie ist gewissermaßen die Umkehrung des Urlaubsprinzips: Während wir dabei durch einen Ortswechsel unser Lebenstempo zu beeinflussen suchen, können wir umgekehrt durch einen Wechsel unserer Zeitgewohnheiten plötzlich ganz andere Qualitäten unseres Zuhauses wahrnehmen.
    Oder machen Sie es wie jener befreundete Familienvater, der sich eines Sonntagmorgens spontan das Mofa seiner Tochter lieh und zu einem Ausflug ins Blaue hinein startete. Stundenlang zuckelte er in aller Seelenruhe durch Dörfer, die er zwar kannte, aber beim Durchfahren mit dem Auto nie richtig wahrgenommen hatte. Am Ende, so erzählte er mir, sei er mit einem Gefühl von Freiheit und Ungebundenheit zurückkommen, das er lange nicht erlebt habe.
    Solche Beispiele zeigen: Abenteuer kann man auf die verschiedensten Arten erleben, und die Muße liegt manchmal gleich um die Ecke. Und es gibt nahezu unendlich viele Möglichkeiten, eingefahrene Gewohnheiten aufzubrechen – wir müssen sie nur ergreifen.

5. Das Nichts strukturieren
     
    E ine Sache aber scheint uns auf dem Weg zur Muße ungeheuer schwerzufallen: das Alleinsein. Wenn endlich einmal jene freie, leere Zeit vor uns liegt, nach der wir uns im hektischen Arbeitsalltag so sehnen, türmt sich wie ein Monster die Langeweile vor uns auf und mit ihr die Angst, vom üblichen Getriebe abgeschnitten und uns selbst ausgeliefert zu sein.
    »Alles Unglück in der Welt kommt daher, dass man nicht versteht, ruhig in einem Zimmer zu sein«, erkannte schon Blaise Pascal. Sobald man auf sich gestellt sei, so der französische Philosoph, beginne ein zersetzender Gedankenprozess, der uns in alle möglichen düsteren Stimmungen führe, zunächst in »die Langeweile«, in »die Düsterkeit, die Traurigkeit, den Kummer, den Verdruss, die Verzweiflung«. Bei dem tief religiösen Pascal ging es dabei selbstverständlich um nichts Geringeres als die Verzweiflung über die Unausweichlichkeit des Todes. Bei uns Normalbürgern genügt manchmal schon der Blick auf den Kontostand oder ins Fernsehprogramm, um uns in Düsterkeit und Verzweiflung zu treiben.
    Dass uns das Alleinsein so schwerfällt, ist kein Wunder. Der Mensch ist nun einmal ein geselliges Tier. Der Ausschluss aus einer Gemeinschaft war für Homo sapiens während des längsten Teils seiner Entwicklungsgeschichte gleichbedeutend mit dem Tod. »Wer die Einsamkeit liebt«, so lautet ein altes Sprichwort, »ist entweder ein wildes Tier oder ein Gott.« Heute müssen wir zwar nicht mehr den Tod fürchten, wenn wir einmal ein Wochenende auf uns alleine gestellt sind, dennoch kann schon das ein fast unerträgliches Gefühl der Leere erzeugen.
    Vielen Menschen geht es daher ähnlich wie dem Schülerzeitungsredakteur Ruben Karschnick, der über sich und seine Generation schreibt: »Wir brauchen das ständige Grundrauschen.« Nichts sei schlimmer, »als allein zu sein, ganz ohne Online- und Offlinefreunde«. Gerade deshalb seien Internetplattformen wie Facebook so attraktiv, analysiert der 18-Jährige: »Die Masse an kleinen Informationen gaukelt uns eine Vertrautheit mit vielen, vielen Menschen vor. Nach der sehnen wir uns.« 26
    Von der »Sehnsucht nach Resonanz« spricht der Soziologe Hartmut Rosa in diesem Zusammenhang. Man wolle seine Entfremdung überwinden und suche die Erfahrung, »dass es zwischen uns innen und der Welt so etwas wie ein Resonanzverhältnis gibt, die Möglichkeit auf einen Wiederhall, einen Einklang«. 27 Früher vermittelten vor allem Kunst und Religion solche Resonanzerfahrungen. Heute haben diese jedoch einen Großteil ihrer Bedeutung verloren. Vermutlich versuchen deshalb so viel den Wiederhall technisch herzustellen; Internetplattformen wie Facebook leben ja von nichts anderem als von dem Wunsch nach Anerkennung und der Sehnsucht nach Resonanz.
    Denn nichts stimuliert uns Menschen so sehr wie der Kontakt mit anderen, das Gefühl, für andere wichtig zu sein und gebraucht zu werden. Deshalb lässt sich die Muße im Allgemeinen auch am besten gemeinsam mit Gleichgesinnten genießen. Und viele jener Tätigkeiten, die uns das Glücksgefühl des Flow verschaffen – Musizieren, Tanzen, Singen, Lieben -, finden im Austausch mit anderen statt.
    Wenn wir uns allerdings davon abhängig machen, werden wir leicht zu Getriebenen. Um feststellen zu können, was uns wirklich wichtig ist und was wir mit unseren Freiräumen anfangen wollen,
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