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Muße: Vom Glück des Nichtstuns (German Edition)

Muße: Vom Glück des Nichtstuns (German Edition)

Titel: Muße: Vom Glück des Nichtstuns (German Edition)
Autoren: Ulrich Schnabel
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Jahrhunderte viele kluge Köpfe erkannt; auch die Religionen betonen immer wieder den Wert jener Zeiten, die nicht allein dem Broterwerb gewidmet sind. Doch obwohl moderne Forschungsergebnisse diese jahrhundertealten Weisheiten mittlerweile eindrucksvoll bestätigen, haben wir es inzwischen weitgehend verlernt, »der Muße zu pflegen«, wie das in früheren geruhsamen Zeiten einmal hieß. Und dieser Mangel durchzieht alle Lebensbereiche.
    Denn wir leben, wie Soziologen diagnostizieren, in einer »Beschleunigungsgesellschaft«, in der das Gefühl des Gehetztseins zum Dauerzustand geworden ist; Leistung wird über alles gestellt, das Nichtstun, der nicht zweckorientierte Müßiggang, gilt als unproduktiv und Verschwendung von (Lebens-)Zeit.
    Die Folgen dieser Haltung werden einem oft erst bewusst, wenn es zu spät ist. Als etwa Arend Oetker, einer der erfolgreichsten Unternehmer Deutschlands, gefragt wurde, was der »kapitalste Fehler« seines Lebens gewesen sei, antwortete der Wirtschaftsboss ebenso schlicht wie erschütternd: »Zu wenig Zeit für Freunde«. Und als er angeben sollte, welchen »völlig überflüssigen Luxus« er sich gern gönnen würde, träumte Oetker davon, »in Muße die Natur zu erleben« und im Garten seines Elternhauses »zu beobachten, wie sich die Bäume im Badeteich spiegeln.« 6
    An der Unfähigkeit zur Muße leiden aber nicht nur erfolgreiche Manager, die im Hamsterrad der Geschäftigkeit stecken, sondern paradoxerweise auch jene, die ihre Arbeit verloren haben, die Ausgesonderten, Erwerbslosen, Zwangsentschleunigten. Sie haben plötzlich ein Übermaß an freier Zeit vor sich – Zeit allerdings, die ihnen nun leer, entwertet, unbrauchbar erscheint. Denn in einer Leistungsgesellschaft, die das Wachstum, den Konsum und die persönliche Erlebnismaximierung feiert, wird das Nichtstun zum bitteren Genuss.
     
    So beginnt uns allmählich zu dämmern, dass wir für das ständige Gehetztsein und die Logik des »Immer-mehr« einen hohen Preis bezahlen. Auf individueller Ebene mit allen möglichen psychosomatischen Leiden – vom Tinnitus über Schlaf-, Ess- oder Verdauungsstörungen bis hin zum rasant um sich greifenden Burn-out-Syndrom, der Modekrankheit des gestressten Erfolgsmenschen -, deren Häufigkeit massiv ansteigt. So hat sich beispielsweise laut der Krankenversicherung DAK der Anteil psychischer Erkrankungen an den Ursachen für Fehltage am Arbeitsplatz im vergangenen Jahrzehnt fast verdoppelt. 7 Auch bei den Frühverrentungen in Deutschland zeigt sich ein ähnlich alarmierender Trend (siehe Grafik).
    Kein Wunder, dass die Weltgesundheitsorganisation WHO berufsbedingten Stress durch permanente Überlastung zu einer der »größten Gesundheitsgefahren des 21. Jahrhunderts« erklärt. 8

     
    Bild 1
    Anteil verschiedener Krankheiten an der Zahl der Frühverrentungen in Deutschland. Am häufigsten gehen Arbeitnehmer heute wegen psychischer Erkrankungen in Frührente, die Zahl der Nervenleiden hat längst die früher häufigen Skelett- und Muskelerkrankungen oder Herz-Kreislauf-Leiden überholt.
    Quelle: Deutsche Rentenversicherung
    Wir bezahlen aber nicht nur als Individuen, sondern auch als Gesellschaft: Alle zusammen müssen wir die Folgen eines Wachstums tragen, das unseren Planeten an den Rand seines ökologischen Gleichgewichts bringt und das gerade aufgrund seiner Beschleunigung permanent aus dem Ruder zu laufen droht.
    Das beste Beispiel dafür ist die globale Banken-, Finanz- und Wirtschaftskrise, die seit 2007 weltweit die Regierungen in Atem hält. Sie ist im Grunde nichts anderes als ein »Beschleunigungsunfall«: Während sich die Geschwindigkeit der Finanztransaktionen immer mehr erhöhte, hinkte die reale Produktion ebenso wie die politische Regulierung hinterher – bis es zum Crash kam. Weniger spektakulär, auf lange Sicht jedoch möglicherweise gefährlicher, ist die schleichende Bedrohung unserer Lebensgrundlagen – Überfischung der Meere, Klimawandel, Verknappung von Energieträgern und Ressourcen etc. Diese Gefahren führen uns drastisch die Grenzen eines Wirtschaftssystems vor Augen, das auf unbegrenztes Wachstum und immer schnelleren Kreislauf von Gütern, Geldern und Geistesschöpfungen setzt.
    Selbst unter – traditionell eher konservativen – Ökonomen wächst die Einsicht, dass es so nicht weiter gehen kann. »Wohlstand ohne Wachstum« propagiert etwa Meinhard Miegel, ehemaliger Leiter des Instituts für Wirtschaft und Gesellschaft und heute Vorsitzender eines
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