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Mummenschanz

Mummenschanz

Titel: Mummenschanz
Autoren: Terry Pratchett
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zum Gesicht der Hexe zurück.
    Nanny Ogg seufzte und legte die Blätter beiseite. Ab und zu verstand sie Oma Wetterwachs’ Standpunkt – manchmal erwarteten die Leute zuwenig von Hexen.
    »Ja, natürlich«, sagte sie und versuchte zu lächeln. »Stellen wir anhand der Teereste in dieser Tasse fest, was die Zukunft bringt, nicht wahr?«
    Nanny gab ihrem Gesicht einen angemessen okkulten Ausdruck und blickte in die Tasse.
    Die wenige Sekunden später zu Boden fiel und zerbrach.
     
    Es war ein kleines Zimmer. Eigentlich war es die Hälfte eines kleinen Zimmers, denn man hatte ihm in der Mitte eine dünne Trennwand hinzugefügt. Neue Mitglieder des Chors hatten einen noch geringeren Rang inne als Kulissenschieber-Lehrlinge.
    Der Platz reichte für ein Bett, einen Kleiderschrank, eine Frisierkommode und seltsamerweise einen türgroßen Spiegel.
    »Beeindruckend, nicht wahr?!« kommentierte Christine. »Man hat versucht, den Spiegel fortzuschaffen, aber offenbar ist er fest mit der Wand verbunden!! Bestimmt erweist er sich noch als sehr nützlich!!«
    Agnes schwieg. Ihre eigene Unterkunft – die andere Hälfte des kleinen Zimmers – wies keinen solchen Spiegel auf. Darüber war sie froh. Spiegel waren nicht ihre natürlichen Freunde. Das lag nicht nur an den Bildern, die sie ihr zeigten. Agnes hatte Spiegel schon immer als… beunruhigend empfunden. Sie fühlte sich von ihnen beobachtet. Und sie mochte es nicht, beobachtet zu werden.
    Christine trat in den winzigen freien Bereich in der Mitte des Zimmers und drehte sich. Sie bot einen hübschen Anblick. Etwas an ihr schien zu funkeln wie Pailletten.
    »Ist das nicht schön?!« fragte sie.
    Christine nicht zu mögen… Genausogut hätte man kleine flauschige Tiere abscheulich finden können. Ja, Christine ließ sich am besten mit einem kleinen flauschigen Tier vergleichen. Vielleicht mit einem Kaninchen. Es war ganz offensichtlich unmöglich, neue Ideen am Stück in ihrem Kopf unterzubringen – Christine mußte sie erst in kleine Brocken zerknabbern.
    Sie drehte sich jetzt nicht mehr.
    »Ist alles in Ordnung mit dir?!« fragte sie.
    Agnes nickte.
    »Warum erzählst du mir nicht ein bißchen mehr über dich?!«
    »Äh… nun…« Agnes freute sich fast. »Ich stamme aus einem Ort in den Bergen, von dem du wahrscheinlich nie gehört hast…«
    Sie unterbrach sich. In dem Kopf unter dem blonden Haar war ein Licht ausgegangen, und Agnes begriff: Christine wollte eigentlich gar nicht mehr über sie wissen; sie hatte nur versucht, eine unangenehme Stille mit Worten zu füllen. »… und mein Vater ist Kaiser von Klatsch, und meine Mutter ist eine kleine Schale mit Himbeerpudding.«
    »Wie interessant!« erwiderte Christine und blickte in den Spiegel. »Glaubst du, mit meinem Haar ist alles in Ordnung?!«
     
    Wäre Christine imstande gewesen, länger als nur für einige Sekunden zuzuhören, hätte Agnes ihr folgendes mitgeteilt:
    Sie erwachte eines Morgens mit dem schrecklichen Wissen, daß sie einen guten Charakter hatte. Und hübsches Haar.
    Agnes fühlte sich nicht durch den guten Charakter belastet, sondern von dem »aber«, mit dem andere Leute diese Eigenschaft stets einleiteten: Aber sie hat einen guten Charakter. Der Umstand, keine Wahl gehabt zu haben, wurmte sie sehr. Niemand hatte sie vor der Geburt gefragt, ob sie einen wundervollen Charakter haben wollte – oder einen schlechten und als Ausgleich dafür eine im positiven Sinne atemberaubende Figur. Statt dessen betonten die Leute immer wieder, daß man nicht nach dem Äußeren urteilen durfte – als wenn sich Männer von inneren Werten anlocken ließen.
    Sie glaubte zu spüren, wie sich eine ganz bestimmte Zukunft auf sie herabzusenken versuchte.
    Vermutlich würde sie »na so was« und »verflixt« sagen, wenn alles in ihr danach drängte, ordentlich zu fluchen. Und vielleicht konnte etwas sie dazu bringen, rosarotes Briefpapier zu benutzen.
    Anschließend dauerte es sicher nicht mehr lange, bis sie ebenso gute Butterkekse und Apfeltorten backen konnte wie ihre Mutter. Und dann gab es keine Hoffnung mehr für sie.
    Deshalb erfand sie Perdita. Sie hatte einmal gehört, daß in jeder dicken Frau eine dünne Frau darauf wartete, nach draußen zu schlüpfen { * } , und diese Frau nannte sie Perdita. Sie eignete sich gut dafür, all jene Gedanken zu denken, die sich Agnes wegen ihres guten Charakters nicht durch den Kopf gehen lassen durfte. Perdita würde schwarzes Briefpapier benutzen, wenn sie damit durchkam;
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