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Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert

Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert

Titel: Multi Kulti Deutsch - wie Migration die deutsche Sprache verändert
Autoren: Uwe Hinrichs
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darin, große linguistische Theorien aufzufahren, um das ganze Phänomen auf ein breiteres linguistisches Gleis zu heben (‹deduktiv›). Es besteht nämlich kein Zweifel, dass die neuen Formen im Sprecherbewusstsein auch als neu markiert sind, also besondere sind, während die alten Standard-Formen noch vollkommen geläufig, also unmarkiert sind. Linguistische Theorien der Markiertheit, z.B. von Carol Myers-Scotton, würden hier die sozialen, psychischen und sprachlichen Bedingungen aufzählen, die die Wahl einer neuen, markierten Form bewirken und die alte unmarkierte Form dann wie beiläufig noch nachfolgen lassen. Solche Theorien würden vielleicht voraussagen, dass der ganze Prozess des hopping zwischen ‹ markedness/unmarkedness › in unseren Fällen irgendwann an eine kritische Grenze kommt, an der die Markierungen umschlagen und die Formen ihre Plätze tauschen. Für einige neue Formen scheint es schon so weit zu sein: Die Muster mit diese n Problem ; nach diese n Bericht ; von diese n Prozess sind auf dem besten Wege, zu neuen unmarkierten Formen zu werden, die für das neue Sprachgefühl bereits vollkommen normal sind. In nicht allzu ferner Zeit identifiziert dasselbe Sprachgefühl dann die alten ‹richtigen› Formen wie mit diese m Problem schließlich als markiert, also als im mündlichen Gebrauch schon nicht mehr selbstverständlich. Summa summarum : Durch das hopping drückt sich eine tiefgehende Ambivalenz aus. Sie ist typisch für Individuen oder für Gruppen, die sich für eine Zeit in einer Übergangsphase des Sprachwandels befinden, innerhalb der gewechselt wird von einem Zustand in einen anderen, von einem Modus in einen anderen.
    Durch hopping schafft sich der Durchschnittssprecher letztlich den Raum, den er braucht, um mit den schnellen Veränderungen zurechtzukommen, sie in seiner Sprachpraxis irgendwie zu ‹managen›. Er hält den Wandel der Sprache auf einer ‹dunklen› Ebene, die er braucht, um den Prozess erfolgreich zu Ende zu führen. Hopping ist Sicherung des Sprachwandels.
Rudi Keller: Sprachwandel und ‹Trampelpfad›
    Hopping weist darauf hin, dass im Neudeutschen eine hochwirksame Steuerung von inneren Wandelprozessen am Werk ist, die das Ziel hat, neue Formen in den Sprachgebrauch einzuführen und sie dort zu stabilisieren. Dazu müssen die Sprecher langsam und behutsam vorkonditioniert werden: Niemand übernimmt bewusst eine neue Form. Und alte Formen kann niemand per Dekret entfernen. Denn Sprachwandel ist ein gesellschaftlicher Prozess über dem Sprachlichen: Der große Altertumsforscher Jan Assmann sagte einmal, bestimmte Dinge im sozialen Prozess müssten für eine Zeit den Diskursen entzogen bleiben, um sich zu entwickeln. Wir sagten, sie seien ‹dunkel›; man kann auch sagen: unsichtbar .
    Rudi Kellers berühmte Theorie der Unsichtbaren Hand beschreibt, wie die Gemeinschaft den Wandel ihrer Sprache als einen selbstablaufenden, dunklen Prozess managt: nämlich unbewusst, nichtintentional, implizit. Wir stellen uns diesen Prozess so vor: Die große anonyme Masse der Sprecher bewegt sich – vollkommen unbewusst – auf einem Weg des geringsten Widerstandes und des größten Effekts, etwa wie ein Vogelschwarm oder eine Büffelherde. Sie springt zwischen alten und neuen Formen hin und her und bereitet, mit der sicheren Intuition des kollektiven Handelns, die allmähliche Etablierung der neuen Formen vor. Sie ‹weiß› dabei genau, wie diese Formen aussehen: Es sind solche, die ihre Ziele befördern und ihren Bedürfnissen möglichst ökonomisch entgegenkommen. Es sind Formen, wie die Sprachgemeinschaft sie in ihrer jetzigen Situation benötigt .
    Der größte Vorteil dieses Verhaltens besteht darin, dass es mit der Zeit unmöglich wird, den einzelnen Sprecher noch auf diese oder jene Form verbindlich festzulegen. (Wer wollte einem Vogel im Schwarm schon sagen, wie er fliegen soll!) Durch ständige Imitation und Wiederholung werden die neuen Formen mit der Zeit gestärkt und setzen sich im veränderten Sprachbewusstsein allmählich und unwiderruflich durch. (Diesem Ziel dienen auch strategisch die wiederholt festgestellten ‹Gegentendenzen›, die ‹Versprecher›, die Korrekturen und das allmähliche Verblassen der sprachlichen Normen im Bewusstsein der Sprecher: Sie sind der Katalysator des
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