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Muensters Fall - Roman

Muensters Fall - Roman

Titel: Muensters Fall - Roman
Autoren: H kan Nesser
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rutschige Auffahrt zur Wagnerbrücke abbog, kam er ins Stolpern und fiel hin. Zwei vorbeigehende Frauen, wahrscheinlich Huren unten aus Zwille, halfen ihm wieder auf die Beine und sorgten außerdem dafür, dass er in der Zuyderstraat etwas festeren Boden unter die Füße bekam.

    Der Rest war ein Kinderspiel, und in dem Moment, als die Glocken der Keymerkirche Viertel vor zwölf schlugen, war er zu Hause.
    Ganz im Gegensatz zu seiner Ehefrau. Waldemar Leverkuhn zog die Tür hinter sich zu, ohne sie abzuschließen, zog Schuhe, Mantel und Jacke im Flur aus und krabbelte ohne große Umstände ins Bett. Zwei Minuten später schlief er bereits. Auf dem Rücken und mit weit geöffnetem Mund, und als jemand etwas später in der Nacht sein rasselndes Schnarchen zum Verstummen brachte, indem er ihm achtundzwanzig Mal ein Fleischmesser in Rumpf und Hals stieß, war nicht auszumachen, ob er sich dieser Tatsache überhaupt bewusst geworden war.

2
    Die Frau war grau wie das Licht der Morgendämmerung.
    Mit hochgezogenen Schultern saß sie Kommissar Münster in ihrem abgetragenen Mantel gegenüber und blickte zu Boden. Sie machte keinerlei Anstalten, den Teebecher oder eines der Brote anzurühren, die Frau Katz hereingebracht hatte. Eine Aura müder Resignation umgab sie, und Münster überlegte, ob es nicht besser wäre, einen Arzt zu rufen und ihr eine Spritze geben zu lassen. Sie ins Bett zu bringen, damit sie sich ausruhte, statt hier zu sitzen und durch die Mangel gedreht zu werden. Krause hatte ja bereits ein vorläufiges Verhör zu Stande gebracht.
    Aber wie Van Veeteren immer sagte: Die ersten Stunden sind die wichtigsten. Und die erste Viertelstunde ist genauso schwergewichtig wie die gesamte dritte Woche.
    Falls sich die Geschichte so lange hinziehen würde. Man konnte ja nie wissen.
    Er schaute auf die Uhr. Sechs Uhr fünfundvierzig. All right, dachte er. Eine Viertelstunde, höchstens.
    »Ich muss Ihre Angaben noch einmal durchgehen«, sagte er. »Dann können Sie sich schlafen legen.«

    Sie schüttelte leicht den Kopf.
    »Ich brauche keinen Schlaf.«
    Münster überflog hastig Krauses Aufzeichnungen.
    »Sie sind also etwa gegen zwei Uhr nach Hause gekommen?«
    »Ja, ungefähr fünf Minuten nach zwei. Es gab einen Stromausfall, und der Zug musste mehr als eine Stunde warten. Vor Voigtshuuis.«
    »Wo sind Sie gewesen?«
    »In Bossingen. Bei einer Freundin. Wir treffen uns immer samstags ... nicht an jedem, aber ab und zu. Ich habe das schon erzählt.«
    »Ich weiß«, sagte Münster. »Wann sind Sie von Bossingen losgefahren?«
    »Mit dem Zwölfuhrzug. Der fährt um 23.59 Uhr ab und soll eigentlich Viertel vor eins hier sein. Aber diesmal ist es fast zwei geworden.«
    »Und dann?«
    »Dann bin ich nach Hause gegangen und habe ihn gefunden.«
    Sie zuckte mit den Achseln und schwieg. Bis jetzt hatte sie den Blick noch kein einziges Mal gehoben. Einen kurzen Moment lang musste Münster an das überfahrene Katzenjunge denken, das er gefunden hatte, als er zehn oder elf Jahre alt war. Es hatte auf dem Asphalt in seinem eigenen Blut gelegen, als er mit dem Fahrrad vorbeigekommen war, und auch das Katzenjunge hatte seinen Blick nicht gehoben. Es hatte einfach nur dagelegen, in das hohe Gras am Wegrand gestarrt und darauf gewartet, dass es sterben würde.
    Er überlegte, warum ausgerechnet dieses alte Bild an diesem düsteren Morgen aus seinem Gedächtnis auftauchte. Schließlich war es nicht Frau Leverkuhn, die im Sterben lag, es war ihr Mann, der gestorben war.
    Ermordet. Zweiundsiebzig Jahre alt hatte er werden müssen, um seinen Mörder zu treffen, einen Mörder, dem es am sichersten erschienen war, das Messer zwischen zwanzig und dreißig Mal in ihn zu stoßen, damit er niemals wieder aus seinem Bett steigen würde.

    Irgendwann zwischen halb eins und halb drei, wenn man dem vorläufigen Obduktionsbericht glauben durfte, der schon eine Weile vorlag, als Münster ins Polizeipräsidium kam.
    Ein wenig übertrieben, zweifellos. Ein oder zwei Stiche hätten vermutlich genügt. Der Blutverlust war so groß gewesen, dass man hier wirklich einmal davon reden konnte, dass das Opfer in seinem eigenen Blut gebadet hatte. Es gab beträchtlich mehr davon im Bett und auf dem Boden als im Körper.
    Er betrachtete Marie-Louise Leverkuhn und ließ einige Sekunden verstreichen.
    »Sie haben sofort die Polizei angerufen?«
    »Ja ... nein, ich bin zuerst rausgegangen.«
    »Rausgegangen? Aber warum um alles in der Welt?«
    Wieder zuckte
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