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Muensters Fall - Roman

Muensters Fall - Roman

Titel: Muensters Fall - Roman
Autoren: H kan Nesser
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mit dir?«, fragte er und umarmte sie so vorsichtig, als wäre sie nur aus Träumen geschaffen.
    »Ich weiß nicht«, sagte sie. »Ich will nicht, dass das Leben so verläuft, nur so. Morgens stehen wir auf, um zu arbeiten und die Kinder in die Schule zu schicken. Wir sehen uns erst wieder, wenn es dunkel ist, wir essen, und dann schlafen wir. Das Gleiche tagaus, tagein ... Ich weiß, dass wir so leben müssen, aber überleg doch mal, wenn alles in einem Monat zu Ende wäre. Oder in einem halben Jahr. Das ist doch nicht menschenwürdig, es muss doch auch Zeit geben, ein wenig zu leben.«
    »Nur zu leben?«, fragte Münster.
    »Nur das, ja«, sagte Synn. »Ja, ich weiß, dass es Menschen gibt, denen es schlechter geht ... fünfundneunzig Prozent der Menschheit, wenn man genau sein will.«
    »Achtundneunzig«, sagte Münster.
    Er strich ihr behutsam über Nacken und Rücken.
    »Wollen wir die Kinder angucken, wie sie schlafen?«
    »Die schlafen noch nicht«, sagte Synn.
    »Dann müssen wir uns also noch in Geduld fassen«, sagte Münster.

6
    Erst als Münster am Montagmorgen seinen Fuß ins Polizeipräsidium setzte, fiel ihm ein, dass er immer noch keinen Kontakt zu Leverkuhns Kindern bekommen hatte. Eineinhalb Tage waren seit dem Mord vergangen, es wurde allerhöchste Zeit. Glücklicherweise hatten die Medien in ihren ziemlich zurückhaltenden Berichten über den Fall keine Namen genannt, sodass zu hoffen war, dass es immer noch Neuigkeiten waren, die er da zu überbringen hatte.
    Es war schon schlimm genug, der Überbringer einer Trauerbotschaft
zu sein. Aber noch schlimmer war es, wenn die Trauernden bereits informiert waren. Münster hatte das schon mehrfach miterlebt.
    Um weitere Verzögerungen zu vermeiden, gab er Krause den Auftrag, die Sache in die Wege zu leiten. Nicht die Nachricht selbst zu übermitteln, aber eine Verbindung herzustellen – sodass er persönlich all die düsteren Fakten mitteilen konnte.
    Das war ja seine Pflicht, wie er wusste.
     
    Nach einer halben Stunde hatte er das erste Kind in der Leitung.
    Die jüngere Tochter, Ruth Leverkuhn. Vierundvierzig Jahre alt, wohnhaft in Wernice, gut hundert Kilometer von Maardam entfernt. Trotz der Entfernung einigte man sich sofort – sobald Münster berichtet hatte, dass dem Vater ein Unglück zugestoßen war –, sich unter vier Augen zu treffen. Ruth Leverkuhn wollte über ernsthafte Dinge nicht am Telefon reden.
    Aber dass Waldemar Leverkuhn tot war, das erfuhr sie natürlich bei dem Gespräch.
    Und dass Münster von der Kriminalpolizei aus anrief.
    Also im Cafe Rote Moor am Salutorget. Da sie nun einmal – aus welchem Grund auch immer – ein derartiges Lokal dem Polizeipräsidium vorzog.
    Und zwar bereits um zwölf Uhr. Da sie – aus welchem anderen Grund auch immer – es vorzog, die Polizei zu treffen, bevor sie zu ihrer Mutter nach Bossingen fuhr.
     
    Der Sohn, Mauritz Leverkuhn, geboren 1958, meldete sich kaum zehn Minuten später. Er wohnte noch weiter im Norden  – in Frigge –, und Münster gab auch hier sofort deutlich seine Nachricht von sich.
    Der Vater war gestorben.
    In der Nacht von Samstag auf Sonntag. In seinem Bett. Ermordet, wie es aussah. Mit einem Messer.
    Wie es aussah?, dachte Münster, während er dem Schweigen im Hörer lauschte. Das ist aber äußerst vorsichtig ausgedrückt.
    Dann konnte er in Mauritz Leverkuhns verwirrten Fragen die üblichen stumpfen Anzeichen eines Schocks heraushören, oder zumindest glaubte er, sie heraushören zu können.
    »Wann war das, haben Sie gesagt?«
    »Wo ist meine Mutter?«
    »Wo ist er jetzt?«
    »Was hatte er an?«
    Münster gab Antwort auf all diese Fragen und einige mehr. Er achtete auch darauf, dass der Sohn die Telefonnummer von Emmeline von Post bekam, damit er mit seiner Mutter in Kontakt treten konnte. Schließlich sprach er sein Beileid aus und verabredete ein Treffen am Dienstagvormittag.
    Da der Sohn die Absicht hatte, so schnell wie möglich – spätestens in der kommenden Nacht – an die Seite seiner Mutter zu eilen.
     
    Was Irene Leverkuhn, die älteste Tochter, betraf, so hatte Münster bereits mit dem Feffnerheim gesprochen, in dem sie seit vier Jahren lebte. Eine äußerst vertrauenerweckende Fürsorgerin hatte ihm zugehört und die Lage verstanden, und sie hatte ihm erklärt, dass sie persönlich dafür sorgen werde, dass ihr die Nachricht von dem jähen Tod des Vaters übermittelt werde.
    Auf die behutsamste Weise und so schonend wie möglich.
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