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Münsterland ist abgebrannt

Münsterland ist abgebrannt

Titel: Münsterland ist abgebrannt
Autoren: Jürgen Kehrer
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in so eine Villa schaffen. Dazu musste man schon mit einem satten Vorschuss auf die Welt kommen und den entsprechenden Lebensstil mit der Muttermilch aufsaugen. Falls er selbst mal zu Geld kommen würde, was schon deshalb unwahrscheinlich war, weil er nie Lotto spielte, hätte er sicher Mühe, es in etwas anderes als ein dickes Auto und das neueste Technikspielzeug zu investieren. Zu mehr reichte sein Geschmack nicht. Aber er lebte – und Carl Benedikt Mergentheim nicht mehr. Das ganze Geld, die schönsten Privilegien und ein vermutlich gottähnliches Selbstvertrauen hatten den Bank-Manager nicht davon abgehalten, sich einen Strick um den Hals zu legen, auf einen Stuhl zu steigen und diesen mit der letztmöglichen freien Willensentscheidung umzustoßen. Danach sah es nämlich aus. Dass Mergentheim seinem Leben selbst ein Ende gemacht hatte.
    Hinter Bastian quietschten die Gummisohlen der Uniformierten auf dem Parkett. In Altenberge war Mergentheim eine große Nummer. Die Chance, einen Blick in seine gute Stube zu werfen, hatte gleich fünf Streifenwagenbesatzungen angelockt.
    Bastian drehte sich um. «Nur fürs Protokoll: Habt ihr euch im Haus umgesehen?»
    «Wir sind ja nicht blöd», sagte der Polizist mit dem grauesten Schnurrbart. «Wir haben bloß gecheckt, ob noch jemand da ist.»
    «Und?»
    «Niemand.»
    «Bis auf die Putzfrau», korrigierte Bastian.
    «Die hat uns sofort angerufen, als sie die Sauerei gesehen hat.»
    «Okay.» Bastian klatschte in die Hände: «Und jetzt raus hier! Gleich taucht die KTU auf. Die mögen es nicht, wenn man auf ihren Spuren herumtrampelt.»
    Murrend verzog sich die uniformierte Truppe nach draußen. Bastian blieb regungslos stehen und versuchte, den Gestank zu ignorieren. Leute, die sich selbst aufhängten, unterschätzten, wie lang sich die Sekunden dehnen konnten, bis man das Bewusstsein verlor. Und was der Körper alles anstellte, um dem Ende zu entgehen. Sich in die Hose zu machen, sei ein Fluchtreflex, hatte Bastian mal gehört.
    Auf dem Tisch, den Mergentheim vor seiner Kletteraktion zur Seite gerückt hatte, lag ein Blatt Papier. Nicht weiß, sondern aus diesem edlen, handgeschöpften Büttenpapier. Bastian streifte die Latexhandschuhe über, die er für solche Zwecke immer dabeihatte, und trat näher. Nach den Spurenfetischisten von der Kriminaltechnischen Untersuchung würde das KK 11 auf der Bildfläche erscheinen, die Mord- und Totschlagsexperten, die Elitetruppe des Präsidiums. Bei einem so prominenten Mann wie Mergentheim würde die Todesursache sicher gründlich ermittelt werden, schon um den Vorwurf der Schlampigkeit zu vermeiden. In jedem Fall konnte es nicht schaden, mit sachdienlichen Informationen zu glänzen. Vor einem Jahr hatte Bastian bei einer Mordkommission mitgewirkt und danach den Antrag gestellt, dauerhaft ins KK 11 versetzt zu werden. Bis jetzt war daraus nichts geworden, allerdings hatte man ihm Hoffnung auf eine der nächsten frei werdenden Stellen gemacht. Bis dahin versuchte Bastian, die Arbeit bei seiner jetzigen Dienststelle, der K-Wache, so positiv wie möglich zu sehen. Immerhin kam man viel herum, stand immer als Erster am Tatort, schaute den Opfern, den Zeugen und manchmal auch den Tätern in die Augen, bevor sie sich komplizierte Lügengeschichten ausdenken konnten. Doch sobald die eigentlichen Ermittlungen begannen, übergab man das Material den zuständigen Fachdezernaten. Zudem schlauchte der Schichtdienst, die K-Wache war rund um die Uhr besetzt.
    Bastian beugte sich über das Papier. Eine schwungvolle, nach rechts strebende Handschrift: «Meine liebe Gerlinde, es tut mir leid, dass es so enden musste …» Na also, ein Abschiedsbrief.
    «Fass bloß nichts an!» Udo Deilbach, der K-Wachen-Kollege, mit dem er von Münster hierhergefahren war.
    «Ich doch nicht.»
    «Mann, Mann, Mann», sagte Udo. «Wenn ich so eine Hütte besitzen würde, wären mir alle anderen Probleme so was von egal, die würde ich auf einer Arschbacke aussitzen.»
    «Du vielleicht. Wer genug Geld hat, denkt nicht darüber nach.»
    «Trotzdem. Eine Schande ist das», beharrte Udo. «Unsereins muss mit tausendfünfhundert im Monat auskommen, den Unterhalt für die Ex und die Brut abgezogen – und der da scheißt auf alles.»
    Bastian schaute nach oben. Noch für den Tod hatte Mergentheim auf korrekte Kleidung geachtet: dunkelblauer Anzug, weißes Hemd, schwarze, glänzend polierte Schuhe. Allerdings fehlte die Krawatte, und das halblange, granitgraue Haar hing
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