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Münsterland ist abgebrannt

Münsterland ist abgebrannt

Titel: Münsterland ist abgebrannt
Autoren: Jürgen Kehrer
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Opfergaben.
    «Setzen!», sagte Bo. Während der gesamten Forschungsreise kümmerte sich der Dolmetscher so intensiv um die Deutschen, dass nicht klar war, wo die Betreuung aufhörte und die Kontrolle begann. Keinen Schritt konnten die drei machen, ohne dass Bo und mehrere zivil gekleidete Männer auftauchten und sich an ihre Seite hefteten.
    «Zur Begrüßung …» Bo lächelte. «… wir bekommen eine Tasse Buttertee.»
    Das Getränk schmeckte ranzig und zugleich salzig.
    «Was ist das denn?» Die Deutsche, deren bleiches Gesicht seit der schlingernden Fahrt über die Bergpässe grünlich schimmerte, unterdrückte den Impuls, den Buttertee sofort wieder auszuspucken.
    «Nicht Sache von jedermann», strahlte Bo. «Ich mag ihn auch nicht.»
    Nach dem Buttertee wurden Tabletts mit verschiedenen Speisen herumgereicht: Reiskuchen, Würste, Nüsse und Früchte. Dazu trank man einen süßlichen Wein. Nach und nach füllte sich der Hauptraum mit immer mehr Menschen. Anscheinend war das halbe Dorf eingeladen, die Fremden zu begutachten. Dabei verhielten sich die Mosuo sehr höflich und zurückhaltend. Man plauderte locker miteinander wie bei einem Familienfest, nur ab und zu warfen die jungen Frauen den beiden deutschen Männern spöttische Blicke zu. Auch einige chinesische Uniformierte saßen jetzt in der Nähe des Eingangs.
    Unterdessen trug die Hausherrin ein weiteres Tablett herein. An dem feierlichen Gesichtsausdruck, mit dem sie es neben der Feuerstelle absetzte, erkannten die deutschen Forscher, dass sich in den Schalen eine besondere Köstlichkeit befinden musste. Umso enttäuschter waren sie, als sie eine undefinierbare gräuliche Masse erblickten, die entfernt an eine sehr alte Speckschwarte erinnerte.
    «Wundervoll», schwärmte Bo. «Das Beste schon am ersten Abend.»
    «Es sieht aus wie ausgekotzt», zischte der korpulente Deutsche.
    «Chris! Reiß dich zusammen», ermahnte ihn die Frau.
    Bo nahm sich eine Schale und stopfte sich einen Klumpen in den Mund. «Das sein
Bocher
. Zehn Jahre altes Schweinefleisch.»
    Chris schluckte. «Und das ist genießbar?»
    «Unbedingt», antwortete Bo. «Probieren Sie! Deshalb sind wir hier. Zu ergründen die Geheimnisse der Mosuo.»
    Die Frau steckte sich ebenfalls ein Stück Fleisch in den Mund und kaute tapfer. «Was macht das Fleisch denn so haltbar?»
    «Die Mosuo verwenden Salz und bestimmte Kräuter.»
    «Die Kräuter interessieren mich.»
    «Natürlich.» Bo lächelte. «Man sagt, Kraut hat besondere Wirkung. Vor allem für alte Frauen. Sie bleiben gesund und stark. Sehen Sie die Dabu an. Sie ist zweiundsiebzig.»
    Die Frau blickte zu dem Bärtigen. «Hast du das gehört, Ujo?»
    Der Angesprochene verzog das Gesicht. «Freu dich nicht zu früh, Hel! In jedem abgelegenen Tal der Welt schwören die Einheimischen auf irgendein Wunderkraut, das sich bei näherem Hinsehen als ganz gewöhnlich erweist.»
    «Sei nicht so pessimistisch!», widersprach Hel. «Mein Gefühl sagt mir, dass wir hier auf eine Goldader stoßen könnten.»
    «Goldader …» Bo kicherte. «Sehr gut.»
    Plötzlich gellte irgendwo draußen der Angstschrei einer Frau. Die Gespräche im Raum verstummten. Einige Mosuo sprangen auf, wurden jedoch von den Soldaten davon abgehalten, das Haus zu verlassen.
    «Was hat das zu bedeuten?», fragte Ujo.
    «Nehmt und esst!» Der Dolmetscher zeigte auf die Schalen, als sei nichts geschehen.
    «Wahrscheinlich hat einer der Chinesen die Sache mit dem Blumenzimmer falsch verstanden und sich über eine Mosuo hergemacht», sagte Hel.
    «Und du denkst, das geht uns nichts an?», fragte der Bärtige.
    «Genau.» Hel trank einen Schluck Wein. «Und jetzt hör endlich auf mit dem Gequatsche, Ujo. Wir sind Wissenschaftler und haben einen Auftrag. Alles andere interessiert uns nicht.»

[zur Inhaltsübersicht]
Eins
    Abgesehen von den bräunlichen Flecken auf dem Parkettboden, war die Einrichtung perfekt. Eine kuschelige Sofaecke, so groß, dass eine ganze Grundschulklasse darauf hätte herumhüpfen können. Alte Schränke und Hightech, alles aufeinander abgestimmt. Die Bilder an den Wänden waren sicher keine billigen Drucke, und der Farbton der blutroten Landschaft neben dem Kamin passte exakt zu dem klotzigen Kronleuchter, an dem der Hausherr baumelte. Von da oben hatte man bestimmt einen phantastischen Blick über die sanft abfallenden Wiesen bis zum Waldrand.
    Bastian Matt dachte an seine schäbige Zweizimmerwohnung im münsterschen Geistviertel. Nie im Leben würde er es
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