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München - 2030

München - 2030

Titel: München - 2030 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Golfidis
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entgegnete Victor.
    »Ich weiß nicht – heißt JA«, sagte der Alte.
    »Ich mach Dir ’nen Vorschlag – du passt mir kurz auf meinen Rollator auf.« Mit einer zärtlichen Geste strich er über den Griff seines Gehwagens.
                »Und ich gehe schnell auf die Toilette – hinterher gebe ich dir einen Preisnachlass, sagen wir mal zwanzig Prozent – was hältst du davon?«
    Der Alte lächelte und eine Reihe von Goldzähnen wurde in seinem Mund sichtbar.
    Victor hob achselzuckend die Schultern.
                »Wenn Sie meinen«, sagte er schließlich wie unter Trance.
    Einer der Greise, ein besonders heruntergekommener, öffnete dem Alten im Pelzmantel ehrerbietig die Tür. Ein anderer, mit Lappen bewaffneter, ging voran und prüfte, ob alles sauber war. Wieder andere folgten und versuchten sich in irgendeiner Art nützlich zu machen. Und Sekunden später war der Alte mit seinem Gefolge in der Toilette verschwunden. Während sich Victor mit dem Luxus-Rollator in eilenden Schritten davon machte.
     
    Aus Angst der Dealer würde ihm ein paar der Alten hinterherschicken, lief Victor mit dem Rollator kleine Einbahnstraßen entlang, kreuz und quer durch die Stadt, bis er sich nach knapp zwei Stunden am Heimeranplatz wieder fand. Von dort fuhr er die Strecke bis nach Pasing mit dem Bus – und das nur, nachdem er sich ausreichend überzeugt hatte, dass der Bus nicht überfüllt war und keine gefährlichen Alten darin saßen.
    Nach einem fünfstündigen Marathon war Victor schließlich im Westkreuz angelangt. Wiederum aus Sorge der Rollator könne Schaden nehmen, wollte er die letzten Meter mit seinem neuen Heiligtum zu Fuß bewältigen.
    Und wie in einem schlechten Film, der nicht übler hätte sein können, sah er, der Biegung in der Radolfzeller Straße folgend, Brenninger. Brenninger befand sich noch in der Mainaustraße und hielt geradewegs auf ihn zu. Er war ungefähr noch fünfzig Meter von ihm entfernt. Auch Brenninger hatte mittlerweile ein geschultes Auge was Rollatoren betraf. Und dass Victor nun einen funkelnagelneu-glänzenden, ferarriroten Rollator vor sich herschob und noch dazu in einer grellroten Jacke gekleidet war, wirkte auf Brenninger mehr als verdächtig.
                Eine Hausdurchsuchung zu veranstalten und möglicherweise die Privat- und Intimsphäre unbeteiligter Mitbewohner zu verletzen, konnte für einen Polizisten ein übles Nachspiel haben – aber jemanden auf frischer Tat zu ertappen, war eine andere Sache.
                Brenninger erhöhte sein Tempo und begann fast zu laufen.
    Victor schlug sein Herz bis zum Hals hinauf. Schnellen Schrittes versuchte er davonzukommen, ohne dass es den Eindruck einer überhasteten Flucht erweckte. Wenn ihn Brenninger erwischte, landete er höchstwahrscheinlich im Knast. Und dort standen die Karten momentan nicht gerade gut, wie Victor gehört hatte.
     
    Stadelheim war gefürchtet. Der Großteil der Insassen überlebte einen Aufenthalt in Stadelheim selten länger als drei Wochen. Seit sie Salmonellen-Rudi, den Imbissbudenbesitzer von der Pasinger-Ecke eingebuchtet hatten, und dieser nun in der Gefängnisküche seinen Dienst versah, kam so ein Gefängnisaufenthalt einem Todesurteil gleich. Es hieß nur ein Gast, mit Saumagen, trotzte Salmonellen-Rudis Kochkünsten schon mehrere Wochen – doch andere behaupteten, er wäre, weil er auf der harten Gefängnispritsche nicht einschlafen konnte, in Hungerstreik getreten und sei nur deswegen noch am Leben.
                Salmonellen-Rudi hatten sie eingebuchtet, nachdem ihm die Kunden wie die Fliegen weggestorben waren.
    In der Tat hatte man an einem einzigen Tag acht Todesfälle verzeichnet, die im unmittelbaren Zusammenhang mit einem Besuch in Rudis Imbisshütte standen.
    Es hatte wohl an der Bockwurst mit Pommes gelegen, die ihnen nicht bekommen war.
    Vier der Toten waren im Umkreis von zehn Metern der Imbisshütte gefunden worden. Der Rest, die anderen vier, hatten es keine fünfzig Meter weit geschafft, bis sie mit Krämpfen zusammengebrochen waren und an Ort und Stelle verstarben.
     
    Victor war total erledigt, lang würde er dieses Tempo nicht mehr durchhalten können. Für seine annähernd siebzig Jahre war er zwar noch rüstig und schnell zu Fuß, aber die Strapazen des Tages hatten ihn ausgelaugt und Brenninger war fitter und mindestens um fünf Jahre jünger. Als sich Victor einmal umwandte, hatte Brenninger aufgeholt, er lag nur noch etwa die

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