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München - 2030

München - 2030

Titel: München - 2030
Autoren: Alexander Golfidis
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Jahre her.«
                »Aber was hat das mit dir zu tun?«, fragte Victor.
                »Ich hab doch mal als Haustechniker bei Gericht gearbeitet, da hat mich Brenninger einmal mit diesem Richter, im Gerichtsgebäude, in der Kantine gesehen. An diesem Tag hatten wir eine Betriebsfeier und ich war in Privatkleidung in der Kantine gesessen, und nicht wie üblich mit meinem Blaumann. Alle Tische waren besetzt und nur der Platz neben dem Richter war frei. Da hatte ich mich einfach dazugesetzt. Brenninger musste wohl zu einer Zeugenaussage ins Gerichtsgebäude gekommen sein – die Polizisten kamen oft zu Zeugenaussagen ins Gericht und bei diesen Gelegenheiten besuchten sie auch immer die Gerichtskantine, die bekannt für gutes Essen war. So kam es, dass mich Brenninger an jenem Tag am Tisch des Richters sitzen sah. Seitdem geht er wohl davon aus, dass es sich bei diesem Richter um einen Kollegen von mir gehandelt hatte. Er glaubt, ich sei Jurist.«
    Charly grinste.
     
    Am nächsten Vormittag stand Victor vor seiner Garderobe und warf noch einen letzten Blick in den Spiegel. Er wollte in die Stadt und prüfte seine Rasur. Dann strich er sich das Haar zurecht und nahm eine Wertung vor. Ja, er sah noch immer einigermaßen akzeptabel aus, wie er fand, zwar nicht mehr wie fünfzig – auch er hatte Abstriche hinnehmen müssen – aber wie ein siebzigjähriger wirkte er noch nicht. Früher hatte er feste dunkelblonde Haare, doch nun waren sie schon durchgängig grau und etwas dünner geworden. Die Nase saß wie immer zu groß geraten im Gesicht und um die Mundwinkel waren die üblichen Falten. Da entdeckte Victor auf seiner Stirn zwei dunklere Flecke auf der Haut, die er dort zuvor noch nicht wahrgenommen hatte. Er ging näher an sein Spiegelbild heran und betrachtete die Pigmentveränderungen mit sorgenvoller Miene. Doch dann ließ er den Blick in den Spiegel wieder sein. Was half es, wenn er täglich sein Aussehen überprüfte, den Alterungsprozess konnte er dadurch nicht aufhalten und auf die alten Tage wollte er nicht noch damit beginnen, eitel zu werden.
    Als nächstes überlegte er, welche Jacke er sich anziehen sollte. Es gab derlei nur zwei Möglichkeiten, doch die Entscheidung fiel ihm dennoch nicht leicht. Schließlich erwog er seine alte, löchrige Jacke hängen zu lassen und sich dieses Mal die neue anzuziehen – es konnte in diesem Gewerbe durchaus von Vorteil sein, nicht so abgerissen daherzukommen. Victor hatte ein paar Wochen zuvor einen noblen, teuer gekleideten, älteren Herrn beobachtet, wie er einen blauen Rollator vor sich herschiebend, eine Toilette aufsuchte. Victor war ihm hinterhergeschlichen. Und der Alte ließ – wie es sich Victor erhofft hatte – seinen Rollator im Vorraum des WCs zurück. Doch nicht nur das, auch seine Jacke hatte er noch fein säuberlich darüber gehängt – offenbar wollte er nicht, dass sie ihm in der Toilette schmutzig wurde.
    Victor hatte den Rollator mit der Jacke gegriffen und sich aus dem Staub gemacht.
                Das war vor zwei Wochen. Und inzwischen, fand er, sei genug Zeit vergangen um die Jacke anziehen zu können, ohne sich irgendeiner Gefahr auszusetzen – zumal der Rollator von dem Herrn längst verkauft war.
    Es war eine fast neue Barbour-Steppjacke in grellroter Farbe, wie sie häufig von Anwälten getragen wurde.
    Victor hängte die Jacke von der Garderobe und streifte sie sich über. Sie saß um den Brustkorb etwas knapp, aber die Ärmel waren lang genug.
    Im Hausgang lief er Susann über den Weg.
                »Und, wie steht mir die?«, fragte Victor und drehte sich ins Profil.
    Susann blieb stehen und betrachtete ihn von oben bis unten.
                »Du siehst mit der Jacke aus wie ein Papagei«, sagte sie nach einer Weile, in einem abwertenden Ton.
                In der Tat wirkte Victor mit der grellroten Barbour-Steppjacke mehr als absonderlich – sie passte so gar nicht zu seinem restlichen Outfit, den verwaschenen Jeans und den abgetragenen braunen Schuhen.
    Victor gab sich gleichgültig, doch innerlich fühlte er sich verletzt. Er schlug den Kragen hoch und schritt ohne etwas zu erwidern ärgerlich davon.
    An der Haltestelle angekommen wartete er Ecke Limes-/Altenburgstraße auf den Bus. Mit ihm standen noch etwa zehn Wartende, die ebenfalls in Richtung Innenstadt wollten. Das schöne Wetter der vergangenen Tage war vorüber. Nun war es wieder kalt und der Himmel grau
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