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Mueller und die Tote in der Limmat

Mueller und die Tote in der Limmat

Titel: Mueller und die Tote in der Limmat
Autoren: Raphael Zehnder
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unzählige Jahre alt ist?», sagt Oberarmspezialist Goran Krstic, und Hausi Sollberger (git) und René Gabathuler (b) nicken heftig, und sogar Stefan Meier (keys) blickt von seinen Reglern, Tasten und Displays auf. Nur Sebastian Fuhrer sitzt wie gefroren da und nuckelt an seinem Bier.
    Jetzt besser nur schweigen. Denn es ist ein Gewitter im Anzug. Es ist nicht alles Minne im Reiche Rock ’n’ Roll. Sondern manchmal Donner und Blitz.
    «Unsere kleine Tournee beginnt genau …», sagt Oberarmmonster Goran teuflisch und von weit, weit oben herab zu Mark, «… morgen Abend. Wenn du dann nicht einmal unseren grössten Hit drauf hast, vergesse ich mich.»
    Und Hausi und René sagen: «Wir uns auch.»
    Und sogar Stefan hinter seinen Reglern, Tasten und Displays räuspert sich in zustimmendem Sinne, und zwar halblaut. Von ihm das Maximum an Emotion.
    «Und jetzt das Ganze noch einmal von vorn», Kommando vom Oberarmmonster, «bitte auch die Neulinge mit voller Konzentration.»
    Und Mark Hubers Blicke möchten Goran durchzucken und verbrutzeln und gegen die Wand flach zerschmettern, weil Mark mittlerweile auch fünf Jahre bei Spitfire , längst nicht mehr Neuling, sondern Tourneen und Studiosessions mitgemacht. Aber Goran halt achtzehn Jahre dabei, einziges Urmitglied. Deshalb Methusalem, Rockfossil. Hast du das schon einmal gesehen: Schlagzeuger als Bandleader? Nein, das kriegst du beim besten Willen im Hirn nicht geradegebogen.

Montag
    Ja, das Stichwort «Jahreszeit». Das müssen wir jetzt bringen, weil es ist wichtig, weil je nach Jahreszeit alles ganz anders aussieht. Jetzt erzähle ich darüber gerne Näheres. Spitzen Sie die Ohren, denn es könnte etwas Interessantes folgen: Der Sommer stand ortsüblich wie ein Husar vor der Tür. Das Leben kippte zack vom Winter- in den Sommermodus und hatte schon gerufen:
    «Ausziehen!»
    Und die Stadt Zürich hörte diesen Ruf und gehorchte, und plötzlich rannten alle mit viel blosser Haut herum. Da gab es Schönes zu sehen, Sie wissen schon, was ich meine, und weniger Schönes, sag nichts. Und wenn die Hitze plötzlich so heiss ist, fast mediterran, also sozusagen Mittelmeer, rennen plötzlich alle mit nichts an herum, also fast nichts oder, wie bereits gesagt, mit viel blosser Haut, nackt beinahe. Auch die Leiche, die in der Badeanstalt Oberer Letten lag. Nur rannte sie nicht mehr und lag eigentlich auch nicht, sondern schwamm oder besser gesagt drehte sich im Strudel unter dem Holzsonnendeck, das einmal einer in den Fluss hinaus gebaut hatte. Schon schön. Da, wo die Leute auf dem Holzrost über dem Wasser liegen, um sich den Hautkrebs zu holen. Das ist nicht so gesund, wenn der Hautkrebs plötzlich schlagartig vor der Tür steht und ruft: «Hallo, ich bin der Hautkrebs.»
    Und es war unter dem Holzsonnendeck im Oberen Letten präzis gesagt eine weibliche Leiche, also das Gegenteil von einem lebendigen Mann. Die Leiche von der Sandra nämlich, und weiblich war die ohne Zweifel. Das sieht man deutlich. Aber das wusste der Müller erst ein wenig später, ich meine: dass die Leiche Sandra heisst. Oder brauche ich hier richtiger das Imperfekt? Und wenn ich sage, der Sommer klopfte schlagartig an die Tür, dass in der schönen Stadt Zürich, am Zürichsee, wo schon Goethe den See zum Bade lockte, aber der Reformator Zwingli eher nicht, dass es hier, denn die Geschichte spielt hier, im Sommer angenehm warm ist. Im Klartext heiss wie in einem Ofenrohr. Aber in diesem Jahr, obwohl es immer schlimmer wird, Klimawandel, 2003, 2006, 2011, 2012, Ozon, so heiss wie seit mindestens fünfhundert Jahren nicht mehr, «Jahrhundertsommer», schreiben die Zeitungen mittlerweile jedes Jahr, studieren Sie bitte einmal die Diagramme, da schmilzt du selbst weg, wie die in den Himmel schiessen, alles voll im roten Bereich, das bestreiten nur die fanatischsten Erdölfreunde, und die Gletscherschmelze, die Bröselberge, der Eiger und das Matterhorn lösen sich auf, Treibhaus und so weiter, ja, sogar der Uetliberg mit seinen malerischen achthundertneunundsechzig Metern über Meer und schön bewaldet sich über unserer Stadt Zürich wölbend, Naherholungsgebiet mit Bähnlein hinauf, stöhnt unter dem Joch der Bedrohung durch das real existierende Klima. In diesem Jahr also, da winkst du ab, wenn dir noch irgendjemand von der «schönen» Jahreszeit erzählen will. Weil, schön ist das seit zwei Dutzend Celsius Graden nicht mehr.
    Ach, eine Sauhitze, dass man gar keine Kleider mehr tragen müsste. Fast.
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