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Mueller und die Tote in der Limmat

Mueller und die Tote in der Limmat

Titel: Mueller und die Tote in der Limmat
Autoren: Raphael Zehnder
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Und das war schön. Auch zum Schauen, da der Mensch sich dann grossenteils seines Pelzes entledigt.
    Aber das nützte der toten Sandra nichts mehr, deren lebloser Leichnam sich noch immer in der Limmat herumtrieb.
    Wie kommt nun der Müller zu diesem Fall? Wo er doch zwar vom Gericht voll und ganz freigesprochen und unschuldig wurde, aber seit einigen Wochen krankgeschrieben und arbeitet nicht. Denn der Müller ist halbfreiwillig, wie soll ich sagen, er geht also zum Chef und sagt: «Bitte suspendieren Sie mich», bis psychosozialdienstliche Begleitung und Verarbeitung abgeschlossen, weil, wenn du einmal geschossen hast, hast du Angst, dass der Damm bricht und du immer, immer wieder feuerst und die Waffe auf Serienfeuer einstellst und alles wegputzen willst, voll psychisch fehlgesteuert, was der Ethik und Humanität natürlich krass entgegensteht. Ist unmenschlich und falsch. Also der Müller krankgeschrieben. Aber Tatsache ist auch: Müller Benedikt hat die Polizei im Blut. Wenn er etwas sieht oder riecht oder merkt, kann er gar nicht anders. Er muss Polizist sein. Obwohl er sich selber versprochen hat: aussteigen, durchatmen, Kopf auslüften, zu Kräften kommen, die Bilder von der Müllerstrasse und Schussabgabe mit Todesfolge überwältigen und verarbeiten. Der Müller hat nämlich Ethik und Humanität, und die können einem übel zusetzen, denn sie begleiten einen, wenn man so veranlagt ist, die ganze Biografie lang.
    Darum liegt er mit seinen 182 Zentimetern und den dunkelbraunen Haaren im Flussbad Oberer Letten auf einem Badetuch auf dem Sonnendeck und versucht, seine Gedanken überallhin zu lenken, nur nicht auf seinen beruflichen Knick mit Todesfolge. Er liegt also in der Sonne, widmet sich seiner Hautfarbe, wohlweislich ohne Adjektiv, denn das hiesse «bleich». Er gibt sich intensiv der psychischen Rehabilitation hin, liest in Heftli mit vielen Bildern und wenig Text, weil einen die Sonne, sie macht doch wirklich plemplem. Und wirklich: Der Müller war von der brutalen Sonne geistig schon ziemlich fest plemplem, wie das so ist, eigentlich ganz wunderbar, und jedoch!
    Ein Schrei!
    Er zerreisst die Luft.
    Gleich neben des Müllers Ohr wurde er wach, also war er eingeschlafen, das hätte ich sagen müssen, aber kein Wunder, weil siedend heisse Bruthitze, und der Müller hat es selber gar nicht so richtig gemerkt, dass er eingeschlafen. Aber seine Illustrierte war ihm aus den Händen gefallen und plumps ins Wasser. Sein Nachbar auf dem Holzsonnendeck, den er nicht kannte, denken Sie jetzt nicht, versuchte reflexartig die Illustrierte zu greifen, weil Torhüter gewesen, untere Liga zwar, FC Würenlos, aber immerhin und flink und sogar Stammspieler. Und greift mit der Hand in die Luft hinter der fallenden Illustrierten, pflügt mit der Greifhand im Windschatten der hinuntersegelnden Illustrierten hinterher, will sie packen. Sie fällt ins Wasser, die Zeitschrift, die Hand des Holzsonnendecknachbarn hinterher, ein Mü zu spät. Aber die lebende Hand ergreift trotzdem etwas und kann der zarten Hand, der zarten toten Hand, der zarten toten kalten Hand von Sandra Grüezi sagen.
    Das ist der Moment des Schreis:
    «Aaaaarghhh!», brüllt es da aus Müllers Holzsonnendecknachbarn hervor, als er unfreiwillig die eiskalte und gut gewässerte tote Hand von Sandra schüttelt. Der Müller Beni wacht wie der Blitz auf. Beides ist begreiflich, weil der Schrei laut und der Schlaf nicht so tief wie ein finsteres Gewässer, auf dessen Grund in vielen Filmen und Romanen in beschwerten Säcken Leichenteile modern, zum Beispiel bei Chandler. Aber das ist jetzt vielleicht nicht der richtige Vergleich, weil hier läuft kein Film, sondern die Wahrheit, und Sandra war weder zerlegt noch beschwert und noch gar nicht modrig, weil recht frisch getötet.
    Von jetzt gerade während des leichenfundbedingten Schreis, Montag, fünfzehn Uhr, zurückgerechnet bis Sonntagfrüh circa ein Uhr a.m. sind es … lassen Sie mich mal rechnen … sind es … achtunddreissig Stunden.
    Aber das weiss dann erst die Autopsie. Und achtunddreissig Stunden im warmen Sommerwasser der Limmat, weshalb ist die tote Hand dann so kalt? Das Gefühl sagt es uns: weil der Tod ist immer kalt. Nur die Hölle ist heiss. Die Autopsie weiss das dann später, die flotte Pathologin Dr. Brenda Marquardt, von der das ganze Polizeigeschwader schwärmt, aber natürlich ist der Graben unüberwindlich: hier die Akademikerin, dort die Haudegen aus dem Strassengraben. Und keine
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