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Mueller und die Schweinerei

Mueller und die Schweinerei

Titel: Mueller und die Schweinerei
Autoren: Raphael Zehnder
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von Müller. Er träumt Nacht für Nacht nachts
dasselbe, und die psychosoziale Beratung und der Psychiater sind seine
Rettungsringe tagsüber, sofern ihm das Herz, der Mut und der Tagesablauf danach
stehen, aber jetzt gerade keine Zeit für den psychologischen Rettungsring.
Daran klammert er sich, die Fangarme der kühlen Vernunft. Nachts ohne Wirkung,
bisher. Aber er ist zäh und ethisch und ein guter Mensch. Ich schwöre es. Das
können wir schon verraten, so viel riskiere ich. Aber nützen tut das noch
nicht, sein Gutsein, vielleicht später, weil der Müller hat ein Trauma. Das ist
griechisch, und das Trauma ist hartnäckig und tönt so:
    FLASHBACK sieht Müller Szene mit Ernstfalleinsatz, ist keine Übung, und Holster
und Faustfeuerwaffe ziehen und Müllerstrasse – ja, Ironie des Schicksals – und
Müllerstrasse und Dunkelheit und rennende Gestalt und wirre Stimmen und
Schritte auf dem Asphalt und Blaulicht und eine Sirene und zwei und drei
Sirenen und rennende Gestalten jetzt und Müller hinterher und Waffe in der Hand
und hebt den Arm und ruft und zielt und ruft und zielt und ruft und zielt und
halt! Aber Druckpunkt und Knall und Schuss und Peng und BLANKE
STELLE IN DER ERINNERUNG und Blut, rotes Blut, flüssig und überall rotes
Blut und blutende Gestalt liegt da wie zerknüllt und weggeworfen mit unwirklich
verdrehten Gliedmassen und jetzt bitte nicht heranzoomen, sonst ist dieses Buch zu Recht nicht für U-18-Jährige freigegeben,
weil nicht sollen sie sich am Busen der Grausamkeit stählen, sondern
Blumenwiesen atmen und Schmetterlinge pflücken und an Zimmet und Muskat und
Myrrhe sich laben und einschnaufen und sich berauschen am Schönen. Ja! Und die
Sanität und noch eine Sirene und die Kollegen sind da in ihren beruhigenden
blauen Uniformen und der Müller in Zivil wie andere Spezialkräfte, aber sie
kennen ihn natürlich, und er lässt die Waffe sinken und wirkt abwesend, ist
abwesend. Wenn du auf einen Menschen geschossen hast, egal, wer es war und was
er vielleicht mutmasslich verbrochen hat, das wird das Verhör festzustellen
versuchen und das Gericht dingfest machen und Rechtsstaat und Staatsanwalt und
Verteidiger und Urteil. Das ist nicht deine Sache, Herr Polizist. Du bist das
Werkzeug des Gesetzes, musst es kennen und lieben und befolgen, und zwar
streng, weil, wenn du es nicht machst, wer dann. Und du willst nicht auf
Menschen schiessen, weil du ein Polizeimann bist und weisst, tagtäglich fast,
und siehst, was der Schusswaffeneffekt: Chaos und Verderben, Not und Mord,
Nötigung und Verstümmelung, und Waffe = schlecht = miserabel, aber ist halt Teil vom
Polizeiberuf, steckt im Schulterhalfter oder am Gürtel, wenn Einsatz akut, aber
wir von der Polizei sind keine Pistoleros, was immer die tendenziöse Presse
sagt, wir handeln korrekt. Meistens! Oh nein, träumt es dem Müller, ja der
Müller sieht all das jede Nacht für Nacht. Und ruft im Schlaf, wenn es für ihn
träumt: Ich will nicht auf Menschen schiessen, nein, will nicht, und deshalb
der Müller Psychiater und Psychologe und interner Sozialberatungsdienst und
Aggressionskurs, ausgerechnet der Müller, wo gerne friedlich wie
Feuersalamander auf dem Balkon sitzt und Bücher liest, aber Trauma, Trauma,
bitte schön, heisst Verwundung, heisst Verletzung. Ich drehe durch, träumt er.
Das ist nicht schön. Und spricht, nein: schreit im Schlaf, dass die Nachbarin
von unten wegen Lärm reklamiert, sogar schriftlich, und sich Gott erbarm, und
darauf hofft der Müller nun wirklich. Alte Prägung. Einmal katholisch, immer
katholisch, aber nur privat, weil der Polizeidienst ist überkonfessionell und
sogar transreligiös. Es sollen, Gemunkel, sogar atheistische Polizisten
existieren, schon ein bisschen gespenstisch, da schreckliche Bilder und
Ereignisse und Bewältigungsdringlichkeit, träumt es dem Müller Benedikt,
Abteilung Gewaltverbrechen. Das sind die, wo die strubsten Jobs fassen und am
meisten kotzen müssen. Und man wundert sich nicht, wenn das die Nächte vom
Müller sind, dass er schlecht schläft und am Morgen wie ein nasser Sack
aufsteht und sich das Grausen zuerst einmal aus den Haarwurzeln duschen muss.
Seit vielen Wochen geht das so, denn die Sache mit der Müllerstrasse war im
Frühling, im Monat Mai.
    Und besonders bitter: Der Müller hat mit seiner
Schussabgabe selbst die Verbrechensstatistik in die Höhe getrieben. Gut, auch
die Aufklärungsquote. Aber diese Sichtweise ist zynisch. Das dürfen Sie nicht
so sehen. Denn
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