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Mueller und die Schweinerei

Mueller und die Schweinerei

Titel: Mueller und die Schweinerei
Autoren: Raphael Zehnder
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Sie mir also meine Ausführungen zur modernen Kunst nicht übel, denn ich meine es nicht böse, möchte Ihnen sogar all das näherbringen, was in den letzten Jahren von Künstlern gebastelt und gepunktet und hervorgebracht wurde.
    Und da werden Sie, liebe Leserin, lieber Leser, mich fragen: Warum erzählt er mir das alles? Über moderne Kunst, wie sie ist, wer sie macht und was sie will? Natürlich hat das mit dieser Geschichte vom Müller zu tun, sonst würde ich es Ihnen nicht erzählen.
    Sie ahnen es womöglich:
    Der mannshohe Rollschinken im Schweinestall von der Familie Angst-Schwerzmann vom Schwendihof in Oberlunkhofen war nämlich eine Kunstaktion.
    Ihr Ziel war es, privaten Raum abseits der Massenmedien und des medialen Wahnsinns zu besetzen, um dort Geheime Kunst (»secret art«) stattfinden zu lassen, im kleinen Rahmen, der den Generierungsprozess der künstlerischen Aktion reflektiert. Eine Bewegung mit Gravitationszentrum USA , aber auch mit Ausläufern in Japan und Europa. Als Protest gegen den Mainstream und die Vereinnahmung durch die Massenmedien soll ein unabhängiger Diskurs initiiert werden zur Überwindung von Klischees und vorgefassten Meinungen. Das dominierende Paradigma soll durchbrochen werden durch Irritation und Verunsicherung, welche die Aktion im Betrachter erzeugt. So wollte man mit dem »mannshohen Rollschinken«, diesen Werktitel schuf die Polizei (!), einen Kontrapunkt zur grassierenden und progressiv sich exponentiell vergrössernden massiven Kommerzialisierung der Kunst setzen, indem sie für das Objekt mehr Geld ausgaben, statt aus seiner Vermarktung Geld einzunehmen. »Lebendskulptur« (»living sculpture«) nennt sich dieses Verfahren deshalb, weil die Schweine als Rohmaterial vom Schinken zwar tot sind, aber der Zerfall der Skulptur, hätte die Polizei sie nicht dem natürlichen Kreislauf der Dinge entzogen, gewissermassen eine Transsubstantiation hätte stattfinden lassen, einen chemisch-organischen Verwandlungsprozess als Metapher für das Vergängliche. Und eine Anspielung aufs Religiöse. Das nicht in der Aktion eingeplante Eingreifen der Polizei und die resolute Strategie der Staatsgewalt gegen diese Skulptur beweisen, welches Tabu das Thema »Thanatos« (gr. »Tod«) heute weiterhin darstellt. Dies übrigens der von seinen Schöpfern ursprünglich angedachte Werktitel, eine Allusion auf dieses Thema, das letzte Tabu der gänzlich durchoptimierten westlichen Gesellschaft. Also ganz kurz auf einen Nenner: Das Spannungsfeld zwischen Negation und Affirmation des Originär-Sinnhaften ausloten – weil Indifferenz ist inopportun. Da muss die Öffentlichkeit ganz einfach Position beziehen.
    Und wie hat der Müller all das herausgefunden? Michael Hauser hat ihm einen Artikel mit diesem Inhalt vor die Nase gehalten, wo er das alles erklärt. Michael Hauser kennt also Künstler, kennt die Künstler, welche den mannshohen Rollschinken aus verschiedenen ortsfremden Schweineindividuen hergestellt und hingestellt haben.
    Er fuhr in jener Nacht nach Oberlunkhofen, um diesen Rollschinken zu fotografieren, mit einem Artikel zu versehen und das als Paket der Presse zu verkaufen. Weil als Kulturjournalist hat er jede Menge Kontakte in die Kulturwelt. Man kennt viele Leute, und diese Leute erzählen einem dann und wann etwas Interessantes. Und wenn man Glück hat, weiss man es vor den anderen und hat einen Vorsprung und kann einen Artikel schreiben, bevor andere davon Wind bekommen, und man hat einen Primeur und alle anderen das Nachsehen. Dass er eine Fotokamera dabeihatte, die schliesslich im Schweinedreck landete, ist bei dem Tumult in Heini Angsts Stall untergegangen, weil die Polizei suchte dort nach dem Schweinemörder und hatte kein Auge für den Fotoapparat.
    So eine Rollschinken-Kunstaktion ist zwar bedenklich hinsichtlich CO 2 -Ausstoss, doch eigentlich nicht ungesetzlich, weil nichts kaputt gegangen oder gestohlen oder beschädigt wurde. Stimmt schon. Aber Hausfriedensbruch! Daran haben die Künstler nicht gedacht. Dürfen doch nicht einfach überall hinein und etwas machen, sonst bricht das Chaos aus. Dann stellt dir der Nachbar demnächst sein kaputtes Velosolex ins Schlafzimmer oder füllt dein Badezimmer prallvoll mit Fussbällen. Schon schön, aber wenn du die Treppe hinaufrennen musst, weil du es pressant in der Blase hast, und dann ist das Badezimmer mit Fussbällen gefüllt, dann passiert leicht ein Unglück, ich erspare die Details.
    Und man imaginiere sich überdies: Im
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