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Mueller hoch Drei

Mueller hoch Drei

Titel: Mueller hoch Drei
Autoren: Burkhard Spinnen
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Kindertheaterstück auswendig lernt, um ihn dann im entscheidenden Moment zu verhunzen oder komplett zu vergessen.
    Es kam keine Antwort, dafür klingelten wieder die Glöckchen. Beinahe hätte ich »Kundschaft!« gerufen, aber es war nur meine Siamschwester.
    »Kannst du nicht auf Damen warten?«, maulte sie. »Wer hat denn deine Erziehung verbockt?«
    »Ins Lokal geht der Mann voran. Könnten ja Drachen drin sein.« Den Satz kannte ich von meinem Ex-Vater. Ich setzte mich auf den nächsten Stuhl.
    »Oh, schau nur. Ist das hübsch hier!«, sagte Paula. Dabei ist »sagen« nicht das richtige Wort. Es war mehr eine Art Hauchstöhnen oder Zartflöten oder Süßpiepsen; jedenfalls lief mir der große Tausendfüßler der Peinlichkeit den Rücken herauf und wieder herunter.
    Paula setzte sich derweil auch, allerdings an einen anderen Tisch. Sie hob einen Finger. »Ich nehme was mit ganz viel Sahne. Bestellst du mir was, oder muss ich das selber machen?«
    Ich sah mich um. Dieses Café hatte wahrscheinlich seit vielen Jahren weder Sahne noch Torten gesehen. Den frischesten Eindruck machte noch das Innere der Theke. Ein Nichts kann eben nicht so richtig alt werden. Allerdings roch es hier nach Ich-weiß-nicht-was, und das sehr intensiv. Es roch fremd und angenehm, wenngleich nicht nach etwas Essbarem. Ich horchte in mich hinein. Hatte ich eigentlich mittlerweile Hunger? Die Antwort war, wie gewöhnlich: Nein.
    »Ob du was für mich bestellst, hab ich gefragt!«, sagte Paula auf Nervigrosa.
    In diesem Moment sah ich die Klingelknöpfe an der Wand. Es waren sieben, einer für jeden Tisch. Ich klingelte aufs Geratewohl.
    Zuerst passierte nichts, dann meldete sich eine Stimme. »Einen kleinen Moment bitte. Ich komme gleich!«, sagte beziehungsweise sang die Stimme. Ich horchte. Die Stimme gehörte eindeutig Tante Elke, aber genau so eindeutig kam sie von einem Tonband. Mir wurde, soweit das in meiner Lage überhaupt möglich war, noch etwas ungemütlicher. Kurz darauf ging weiter hinten im Haus eine Tür. Etwas fiel um, und jemand fluchte wie ein Bierkutscher. Das war wieder Tante Elke, und diesmal kam es eindeutig nicht vom Tonband.
    Endlich öffnete sich eine Tür hinter der Theke, und ein ziemlich merkwürdiges Wesen trat polternd ein.
    Ich stand auf und sagte sehr dramatisch: »Tante Elke?« Dabei konnte ich mich gewissermaßen von außen sehen: Der Laienschauspieler Paul Müller in der Rolle des Paul Müller in dem drittklassigen Theaterstück Der ausgesetzte Sohn . Von irgendwoher bellte Piet Montag einen ironischen Applaus. Paula war ebenfalls aufgestanden, sagte aber ausnahmsweise einmal nichts.
    »Herzlich. Willkommen. In. Der. Gedenkstätte.« Das Wesen hinter der Theke schien mächtig außer Atem zu sein.
    Und das Wesen war eindeutig eine Frau. Aber meine Tante Elke erkannte ich darin nicht. Denn erstens trug die Frau eine altmodische, in der Art der Tapete gemusterte Bluse und einen unmöglichen, viel zu kurzen Faltenrock; dazu hatte sie eine alberne, winzig kleine weiße Schürze umgebunden, eine Unsäglichkeit mit Spitzenbesatz. Zweitens fehlte der Frau die rote Nase und damit das einzige, an dem ich meine Tante einigermaßen sicher hätte erkennen können.
    »Hoppla!«, sagte die Frau. Dann zog sie aus einer Tasche in ihrem Schürzchen eine Brille und setzte sie mit Schwung auf. Durch die Brille sah sie mich an. »Schau an! Wen haben wir denn da?«
    »Mich«, sagte ich. »Paul. Paul Müller.«
    »Und seine Paula«, sagte Paula.
    Vom Hunde ganz zu schweigen.
    »Ich fasse es nicht«, sagte die Frau.
    Ich fasste es auch nicht. Das hier war wohl meine Tante Elke, aber sie sah ganz anders aus, als ich sie in Erinnerung gehabt hatte. Ihre furchtbare Verkleidung einmal weggelassen, wirkte sie wie ein ziemlich normaler und lebenstüchtiger Mensch. Jedenfalls wurde sie nicht mehr durch ihren aggressiven Dauerschnupfen entstellt.
    Sie kam jetzt hinter der Theke hervor, legte ihr Schürzchen ab und setzte sich an meinen Tisch. »Sieh an, das Paulchen. Ist ja fast ein Paul geworden.« Ihre Stimme klang nicht mehr weinerlich erkältet, sondern eher dunkel und kräftig.
    »Hallo, Tante Elke«, sagte ich noch einmal. Und dass ich mich freute, sie so gesund und munter anzutreffen.
    Sie bedankte sich knapp. »Vor allem anderen eine wichtige Frage: Hier hat es eben gebellt. Wo ist der Hund, und wem gehört er?«
    Nun ja, der gehörte irgendwie mir. Das musste ich zugeben.
    »Dann hast du zehn Sekunden, um ihn vor die Tür zu
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