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Mueller hoch Drei

Mueller hoch Drei

Titel: Mueller hoch Drei
Autoren: Burkhard Spinnen
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Ich denke, das wird wunderbar!«
    Ich dachte nur: Neustadt.
    Das ist die Stadt, in der wir wohnen. Pardon, in der ich jetzt den Rest meines Lebens in Einsamkeit zubringen sollte. Denn wenn die Reiseroute meiner Eltern stimmte, würde ich ihre Rückkehr vielleicht gar nicht mehr erleben.
    Bei dieser Gelegenheit und für alle, die es nicht wissen: Unser Neustadt ist nicht neu, sondern heißt nur so. Es ist allerdings auch nicht alt. Und außerdem ist Neustadt weder groß noch klein, weder aufregend noch langweilig, sondern in allem und jedem auf eine etwas aggressive Art und Weise mittelmäßig. Mir hatte das bislang nicht allzu viel ausgemacht. Ich war überhaupt mit dem, was ich hatte, ziemlich zufrieden. Außerdem hieß es immer, ich würde demnächst, wahrscheinlich am Morgen meines achtzehnten Geburtstags, das mittelmäßige Neustadt verlassen und in die sogenannte große weite Welt ziehen, um dort Glück und Reichtum zu erwerben. Ich hatte dazu immer genickt und so getan, als würde ich mich darauf ganz wahnsinnig freuen. Gleichzeitig hatte ich mir allerdings vorgenommen, das Achtzehnwerden möglichst lange hinauszuschieben. Vielleicht fände ich ja einen Trick und könnte es komplett verhindern.
    Doch jetzt lag der Fall ganz anders. Meine Eltern, die kürzlich fünfunddreißig geworden waren, verzogen sich in die große weite Welt – und ich durfte in Neustadt bleiben, allerdings nur, um in bitterer Armut zu leben und unglücklich vor die Hunde zu gehen.
    Meine Mutter zerrte schon an den Koffern, aber mein Vater hatte offenbar meine Gedanken gelesen. »Um Geld mach dir keine Sorgen. Es liegt genug im Haus. Das wirst du beizeiten finden. Ich hab es dir eigentlich gleich geben wollen, aber Mama hat gesagt: Lass nur, er soll ein bisschen suchen, damit er uns nicht gleich hinterherkommt. Wir brauchen einen kleinen Vorsprung.«
    Es ist kein schöner Moment im Leben eines fast Vierzehnjährigen, wenn er herausfindet, dass die eigenen Eltern zu genau jenem grenzenlosen Egoismus fähig sind, den sie ihrem Sohn seit Jahren unterstellen. Betreffender Sohn zweifelt dann augenblicklich an allem und verlangt sehr heftig nach Trost und Geborgenheit. Und obwohl ich nicht der besonders verschmuste Typ bin, wollte ich mich spontan wie ein Dreijähriger an eines meiner Elternteile klammern. Doch meine Mutter schien das zu ahnen und gab mir rasch zwei Küsse, die so flüchtig waren wie sie selbst.
    »Tschüssi«, sagte sie. »Und versuch nicht, uns anzurufen. Von unseren Handys haben wir uns nämlich auch getrennt.« Tatsächlich lagen die beiden friedlich nebeneinander auf dem kleinen Schrank im Flur.
    Als meine Eltern kurz darauf mit unserem ehemaligen Familienauto um die Ecke rauschten, stand ich barfuß im Vorgarten und sah dabei wahrscheinlich so albern aus wie unsere beiden Punk- und Hippie-Gartenzwerge. Ich winkte meinen Eltern kein bisschen nach; das war der einzige Protest, zu dem ich fähig war. Außerdem hatte ich das Gefühl, gleich wieder keine Luft zu bekommen. Und winkend in Ohnmacht zu fallen sieht sicher besonders dämlich aus. Überhaupt wollte ich mich nie mehr bewegen. Ich wollte selbst ein Gartenzwerg werden, kein Hippie- oder Punk-, sondern ein Trennungszwerg, dem allmählich Regen und Wind die billige Farbe vom Plastik waschen.
    Doch da trat unsere Nachbarin zur Linken vors Haus, Frau Glossbach. Sie sah mich merkwürdig an, dann machte sie eine lockende Handbewegung wie die Hexe im Märchen. Wer weiß, dachte ich, was meine Eltern sonst noch alles arrangiert hatten, um sich den Rücken frei zu halten. Womöglich hatten sie sich sogar mit ihren Feinden verbündet, von denen Frau Glossbach der schlimmste war. Und vielleicht hatte die in ihrem Keller schon ein gemütliches kleines Verlies für mich eingerichtet. Ich raffte also meine Restkräfte zusammen, verschob den Verzweiflungstod durch Vergartenzwergung auf später und ging zurück ins Haus.
    In der Küche fand ich prompt den ersten der angekündigten Zettel; er war gelb und klebte am großen Kühlschrank. Darauf stand: Achtung! Alle in diesem Gerät verwahrten Lebensmittel sind genießbar. Aber Vorsicht! Du musst vor dem Essen die Verpackung entfernen. Und wenn du klug bist, wirfst du die Verpackung nicht weg. So weißt du, was du im Supermarkt kaufen solltest, damit du nicht verhungerst.
    Ich öffnete den Kühlschrank. Er war nicht sehr üppig, dafür aber genau richtig gefüllt. Einige Schälchen Milchreis, ein Dutzend Becher Götterspeise und
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