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Mueller hoch Drei

Mueller hoch Drei

Titel: Mueller hoch Drei
Autoren: Burkhard Spinnen
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meiner Schwestern und verhielt mich still, doch dann merkte ich, es war der Hund. Ich schlich mich aus dem Zimmer, er ging voran, und ich folgte ihm. Es war ganz dunkel im Haus, nur von der Terrasse kam noch ein wenig Licht, wie von einer einzelnen kleinen Kerze. Ich schlich weiter ins Wohnzimmer und versteckte mich hinter dem größten Sessel.
    Draußen war kaum etwas zu erkennen. Bruno und Tante Elke mussten auf der Hollywoodschaukel sitzen, jedenfalls schaukelte das Ding sanft vor und zurück. Aber sie sprachen nicht. Entweder sie schliefen oder sie dachten nach. Ich hoffte auf Letzteres. Pablo hatte sich so gesetzt, dass seine feuchte Nase auf meiner Schulter lag. Er machte leise Geräusche mit Lefzen und Zunge, die klangen, als redete jemand in der Sprache eines anderen Sonnensystems.
    So warteten wir. Wir warteten lange. Selbst der Zeit wurde es langweilig. Endlich verlosch die kleine Kerze. Beinahe hätte sich die Lateindompteuse, die als Letzte ausgehalten hatte, ihre Plastikfinger verbrannt.
    In die jetzt vollkommene Dunkelheit hinein sagte Tante Elke: »Also, was ist?«
    Worauf nach einer kleinen Unendlichkeit Bruno sagte: »Na gut, wenn du meinst.«
    Es folgte ein Geräusch, von dem ich mit sehr viel Fantasie annahm, dass es entsteht, wenn einer seinem Nebenmann einen Arm um die Schultern legt. Anschließend herrschte wieder eine Stille, als wäre der größte Teil der Welt noch gar nicht erschaffen. Ich fand es wunderbar. Und hätte Pablo mir nicht seine Zunge ins Ohr gesteckt, so hätte ich ewig hinter dem Ledersessel gehockt und mich an der bloßen Tatsache gefreut, dass es mich gab.
    Pardon: dass es uns gab!
    So aber schlich ich aus dem Wohnzimmer und in die Küche. Zu meinem Erstaunen hatte ich nämlich trotz oder vielleicht wegen der Schlemmerorgie wieder Hunger. Im Kühlschrank stand allerdings nur der letzte aus der tapferen Riege der Milchreise, der mit dem großen gelben Zettel. Besser als nichts, dachte ich, nahm ihn heraus, und in einem Anfall von Übermut las ich endlich den Text auf dem Zettel.
    »Oje!«, sagte ich beim Lesen leise.
    Denn, lieber Papa, liebe Mama, es war nicht nur irgendeiner von euren blöden gelben Zetteln, es war vielmehr der mit weitem Abstand wichtigste von allen. Ein Zettel, nein: der Zettel, den ich, wäre es nach euch gegangen, sehr viel früher hätte lesen sollen. Ich hätte ihn ja auch sehr viel früher gelesen, wäre ich bloß allein und verzweifelt in Neustadt geblieben, statt auf Familiensuche quer durch das Land zu ziehen. Jetzt las ich ihn mit einer gewaltigen Verspätung. Du, Mama, hattest ihn geschrieben:
    Hallo, Paul, mein lieber Sohn. Natürlich brauchten Papa und ich mal einen kleinen Erholungsurlaub. Aber wir lassen dich doch nicht im Stich. Was denkst denn du!! Wir sind doch keine Rabeneltern aus dem Märchen. Papa hatte allerdings die lustige Idee, so zu tun, als würden wir uns von dir trennen. Kleiner Scherz, nicht böse sein, okay! Wenn wir wiederkommen, kannst du ja erzählen, wie es dir so ergangen ist. Vielleicht gibt das ein paar Ideen für eine neue Fernsehserie. Wir sind übrigens auf Mallorca und bleiben drei Wochen. Genügend Geld findest du in der Garage. Es steckt in der Tüte mit dem Blumensamen. Auf der Rückseite des Zettels findest du eine E-Mail-Adresse und eine Handynummer, unter denen du uns immer erreichen kannst. Wenn du nicht zurechtkommst, düsen wir selbstverständlich sofort nach Hause. Ist doch klar! Deine Mama. Und Papa lässt herzlich grüßen.
    Draußen ist es schon lange hell. Und das hier ist wahrscheinlich die längste und ausführlichste E-Mail, die jemals geschrieben wurde. Ich schicke sie jetzt ab. Und wenn du sie gelesen hast, liebe Mama, weißt du über alles Bescheid. Sollte Papa dir beim Lesen über die Schulter gesehen haben, was ich sehr vermute, weiß er auch Bescheid. Ich hoffe, er kann etwas von unseren Erlebnissen für seine Serien gebrauchen.
    Oder noch besser: Er macht ein Buch daraus! Ein richtiges Buch. Eines, in dem genau steht, was die Leute tun und sagen, was sie denken und wie sie versuchen, glücklich zu sein. So was will doch jeder einmal schreiben, nicht wahr?
    Allerdings – sag ihm bitte, die Geschichte gehört vorerst mir. Das heißt: mir und meinen Schwestern. Wenn er sie haben will, muss er bezahlen. Beide müsst ihr bezahlen. Aber keine Angst, das ist nicht teuer, das kostet euch im Grunde gar nichts, nur vielleicht ein bisschen Überwindung.
    Ihr müsst bloß, wenn ihr in zwei Wochen
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