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Mrs. Alis unpassende Leidenschaft

Mrs. Alis unpassende Leidenschaft

Titel: Mrs. Alis unpassende Leidenschaft
Autoren: Helen Simonson
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starrte aufs Meer hinaus. Obwohl er keinen Mantel trug, zog er weder die Schultern zusammen noch verschränkte er die Arme vor der Brust, um sich vor der Kälte zu schützen. Nur der bestickte Saum seiner langen, schweren Tunika flatterte im Wind.
    »Er hat seine Hochzeitskleidung angezogen«, sagte Jasmina. »Ach, mein armer, armer Junge!« Sie streckte ihre Hand nach ihm aus. Sofort packte der Major sie am Arm, weil er befürchtete, sie käme auf die Idee, die letzten dreißig Meter im Laufschritt zurückzulegen.
    »Immer mit der Ruhe«, flüsterte Brian. »Ich mache ihn jetzt auf mich aufmerksam.« Er ging weiter und stieß einen leisen Pfiff aus, der den Major an das Signal erinnerte, mit dem man einen Jagdhund bei Fuß rief. Abdul Wahid wandte sich halb um und sah die drei.
    »Hallo«, sagte Brian und schwenkte langsam seine Hand hin und her. »Ich wollte nur mal fragen, ob ich kurz mit Ihnen reden dürfte.«
    »Sie wollen mir wahrscheinlich helfen, was?«
    »Wenn ich ganz ehrlich sein soll: ja. Was brauchen Sie denn?«
    »Ich möchte, dass Sie meine Tante Jasmina von hier wegbringen«, antwortete Abdul Wahid. »Ich will nicht, dass sie es mit ansieht.«
    »Was tust du, Abdul Wahid?«, rief Jasmina. »Ich lasse dich nicht hier zurück!«
    »Sie soll weg«, sagte Abdul Wahid, ihrem Blick ausweichend. »Sie soll das nicht ertragen müssen.«
    »Sie wollen also nicht mit ihr sprechen?«, fragte Brian. »Na gut. Wenn ich den Major bitte, sie wegzubringen, wären Sie dann bereit, mit mir zu reden – nur ganz kurz?«
    Abdul Wahid schien über das Angebot gründlich nachzudenken.
    »Bitte, komm heim, Abdul Wahid«, flehte Jasmina. Sie hatte zu weinen begonnen. Aus Angst, sie käme auf die Idee, zu ihrem Neffen zu laufen, hielt der Major sie noch immer mit dem Arm zurück. »Ich lass dich nicht allein.«
    »Ich spreche lieber mit dem Major«, entgegnete Abdul Wahid. »Mit Ihnen spreche ich nicht.«
    »Dann bringe ich Ihre Tante jetzt ins Warme und Trockene, und Sie rühren sich nicht vom Fleck und unterhalten sich mit diesem Gentleman?«
    »Ja«, sagte Abdul Wahid.
    »Er hat ein Gewehr, müssen Sie wissen«, sagte Brian. »Sind Sie sicher, dass Sie ihm vertrauen können?«
    »Was soll das?« Panisch presste der Major die Frage zwischen den Zähnen hervor. »Wollen Sie ihn provozieren?«
    Abdul Wahid aber lachte tatsächlich, wie es für ihn typisch war, kurz und bellend auf. »Haben Sie Angst, er könnte mich erschießen?«, fragte er. »Also, das käme mir im Augenblick gar nicht mal ungelegen.«
    »Na gut«, sagte Brian. »Dann machen wir es so.« Dem Major flüsterte er zu: »Dass er lacht, ist ein gutes Zeichen. Ich glaube, wir sollten mitspielen.«
    »Ich gehe nicht«, sagte Jasmina. Sie wandte dem Major ihr tränennasses Gesicht zu, und er fühlte die Ungeheuerlichkeit dessen, was gleich kommen würde. »Ich könnte es mir nie verzeihen.«
    »Wahrscheinlich könnten Sie es sich nie verzeihen, wenn Sie jetzt nicht gehen«, widersprach Brian. »Am besten gibt man ihnen, was sie wollen – natürlich nur, solange es im Rahmen bleibt. Aber nie irgendwelche Versprechungen machen!«
    »Wenn ich ihn in deiner Obhut lasse und du nicht für seine Sicherheit sorgen kannst …« Sie verstummte und wandte das Gesicht ab.
    »Es mag wohl sein, dass du mir das nie verzeihen würdest«, sagte der Major. Die Worte hinterließen einen bitteren Geschmack in seinem Mund. »Ich verstehe.« Sie sah ihn an, und er fügte hinzu: »Wer auch immer bleibt, und wer auch immer geht – ich fürchte, sein Tod würde so oder so zwischen uns kommen, meine Liebe.« Er nahm ihre Hand und drückte sie. »Lass mich jetzt die Rolle des Mannes übernehmen, Liebste, und für Abdul Wahid kämpfen. Und für uns.«
    »Hier, bitte schön«, sagte Brian und holte etwas aus einem großen Rucksack. »Manchmal mögen sie eine Tasse Tee. Ich habe immer eine Thermoskanne zur Hand.«
     
    Er wartete, während Brian und Jasmina die Anhöhe hinaufgingen und unterwegs kurz stehen blieben, um die alte Frau mitzunehmen, die zwar benommen, aber bei Bewusstsein war. Aus den Augenwinkeln beobachtete er Abdul Wahid, der weiterhin reglos dastand. Nach einer Weile drehte er sich um und ging in einem Bogen langsam bergab, um parallel, aber immer noch in respektvoller Distanz zu dem jungen Mann zu stehen zu kommen.
    »Danke«, sagte Abdul Wahid. »Das war kein Ort für eine Frau wie meine Tante.«
    »Das ist für niemanden der richtige Ort«, korrigierte ihn der Major
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