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Mr Monster

Mr Monster

Titel: Mr Monster
Autoren: Dan Wells
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am Rand von Clayton. Genau genommen wohnten wir sogar schon jenseits der Stadtgrenze, weshalb wir eigentlich zum County gehörten, doch der Bezirk war insgesamt so klein, dass sich eigentlich niemand darum kümmerte, wo die Grenzen verliefen. Wir lebten eben in Clayton, und dank der Leichenhalle gehörten wir zu den wenigen Familien, in denen nicht mindestens ein Mitglied im Sägewerk arbeitete. Man hätte meinen können, in einer Kleinstadt wie dieser seien nicht genügend Leichen angefallen, damit sich eine Leichenhalle rentierte, und das stimmt sogar. Das vergangene Jahr war ziemlich schwierig gewesen, und wir hatten Mühe gehabt, alle Rechnungen zu begleichen. Mein Dad zahlte zwar Alimente, genauer gesagt, die Behörden behielten es zwangsweise von seinem Lohn ein, aber das reichte immer noch nicht. Im letzten Herbst war allerdings der ClaytonKiller aufgetaucht und hatte uns reichlich Arbeit verschafft. Der anständige Teil in mir hatte es traurig gefunden, dass so viele Leute sterben mussten, damit unser Geschäft gut lief, aber Mr. Monster war total begeistert gewesen.
    Mom wusste natürlich nichts von Mr. Monster. Allerdings war ihr bekannt, dass man bei mir eine Verhaltensstörung diagnostiziert hatte. Das ist die höfliche Umschreibung dafür, dass ich ein Soziopath bin. Offiziell heißt es eigentlich antisoziale Persönlichkeitsstörung , aber so dürfen sie es nur bei Patienten nennen, die mindestens achtzehn sind. Ich würde in einem Monat sechzehn werden, also hatte ich eine Verhaltensstörung.
    Ich schloss mich im Bad ein und starrte den Spiegel an. Er war voller Haftnotizen, die Mom dort angebracht hatte, damit wir wichtige Dinge nicht vergaßen – nicht den alltäglichen Kram wie Termine, sondern langfristige Lebensregeln . Manchmal hörte ich, wie sie eine davon aufsagte, während sie sich morgens fertig machte, »Heute wird der schönste Tag meines Lebens« und ähnlicher Krampf. Auf dem größten Zettel standen Hinweise, die sie eigens für mich aufgeschrieben hatte. Es handelte sich um eine Regelliste auf liniertem rosafarbenem Papier, die in einer Ecke des Spiegels klebte. Die Regeln hatte ich selbst vor Jahren aufgestellt, um Mr. Monster unter Verschluss zu halten. Bis zum letzten Jahr, als ich ihn hatte herauslassen müssen, hatte ich mich peinlich genau danach gerichtet. Inzwischen hatte Mom es übernommen, die Befolgung zu überwachen. Jedes Mal beim Zähneputzen las ich die Liste durch.
     

Regeln
    Ich werde keine Tiere quälen.
    Ich werde nichts verbrennen.
    Wenn ich schlecht über jemanden denke, schiebe ich die Gedanken weg und sage etwas Nettes über den Betreffenden.
    Ich werde Menschen nicht es nennen.
    Wenn ich Lust habe, jemanden zu verfolgen, beachte ich ihn eine ganze Woche lang nicht, soweit es mir möglich ist.
    Ich werde niemanden bedrohen, auch nicht indirekt.
    Wenn jemand mich bedroht, werde ich mich zurückziehen.
     
    Offensichtlich war die Regel, die das Verbrennen betraf, längst überholt. Mr. Monster war ausgesprochen beharrlich, andererseits erwies sich die Überwachung meiner Mutter als äußerst restriktiv. Eine der Seiten musste schließlich nachgeben, und genau dort geschah es dann. Feuer anzünden – kleine, leicht zu beherrschende Feuer, die niemandem wehtun konnten – war ein Sicherheitsventil, mit dem ich den ganzen Druck ablassen konnte, der sich in meinem Innern aufgebaut hatte. Es war eine Regel, die ich brechen musste , wenn ich überhaupt darauf hoffen wollte, mit anderen Menschen zusammenzuleben. Natürlich verriet ich Mom nicht, was ich so trieb; ich ließ die Regel einfach auf der Liste stehen und übertrat sie.
    Ehrlich gesagt war ich für Moms Hilfe sogar dankbar, aber … es war schwierig, sie Tag für Tag ertragen zu müssen. Ich spuckte die Zahnpasta ins Waschbecken, spülte mir den Mund aus und zog mich an.
    Beim Frühstück verfolgte ich im Wohnzimmer die Frühnachrichten, während Mom hinter mir den Flur saugte, so weit das Kabel reichte. »Gibt es heute etwas Interessantes in der Schule?«, fragte sie.
    »Nein«, erwiderte ich. Auch in den Nachrichten lief nichts Spannendes – oder jedenfalls keine Berichte über Todesfälle in der Stadt, und die waren mir gewöhnlich das einzig Wichtige. »Glaubst du wirklich, ich soll bei Forman noch eine weitere Aussage machen?«
    Mom schwieg einen Moment lang hinter mir, und ich wusste genau, was sie dachte – in jener Nacht war es zu gewissen Ereignissen gekommen, die wir der Polizei bis heute nicht
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