Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Moser Und Der Tote Vom Tunnel

Moser Und Der Tote Vom Tunnel

Titel: Moser Und Der Tote Vom Tunnel
Autoren: Martin Baehr
Vom Netzwerk:
dachte für sich, dass es noch fast eine Stunde dauern würde, bis er endlich auf diesem gottverlassenen Bahnhof mitten im Pfälzer Wald ankäme. Nach Auskunft des Bahnbeamten in München war der Halt des Schnellzuges ›an der Kaltenbach‹ nur der Tatsache zu verdanken, dass das Tal mit dem Kantonshauptort Dahn sonst mit der Bahn nicht erreichbar sei. Auch diese Aussicht hatte bei Moser nicht unbedingt dazu beigetragen, sich auf seine Mission zu freuen.

Die Ankunft
     
     
    Einige Zeit nach dem kurzen Aufenthalt in Annweiler, wo Moser flüchtig auf die drei Burgruinen oberhalb der Stadt schaute und sich an eine durchzechte Nacht auf dem Marsch nach Pirmasens im Jahre 1849 erinnerte, blieb der Zug plötzlich auf freier Strecke stehen. Der Schaffner stieg aus und rief an den Waggons entlanglaufend aus, dass keiner der Fahrgäste den Zug verlassen solle. Es handle sich um einen außerplanmäßigen Halt wegen der Bauarbeiten an der Strecke und die Fahrt würde gleich fortgesetzt. Die ältliche Gouvernante seufzte auf und beäugte ungeduldig die Bauarbeiter, die neben dem haltenden Zug mit der Verlegung des neuen, zweiten Gleises beschäftigt waren. Sie mäkelte mehr oder weniger zu sich selber, warum sie sich nur auf diese Reise eingelassen habe. Moser kam mit ihr ins Gespräch und erfuhr, dass sie die Tochter eines Textilfabrikanten aus Kusel sei. Wirtschaftlicher Aufschwung und Euphorie nach der Reichsgründung 1871 waren schnell verflogen. Auch die Fabrik ihres Vaters wurde in den Strudel der Wirtschaftskrise zwischen 1873 und 1879 hineingezogen und musste Konkurs anmelden. Deshalb blieb ihr nichts anderes übrig, als ihren Unterhalt als Hauslehrerin und Gouvernante zu verdienen; zunächst im Haushalt eines Privatbankiers in Augsburg. Da dessen Kinder nun erwachsen waren, musste sie die neue Stelle in Zweibrücken annehmen. Dieses lag immerhin etwas näher an ihrer Heimat. Allerdings hatte sie über ihren neuen Arbeitgeber nicht allzu viel Gutes gehört. Moser fühlte sich verpflichtet, die Dame zu trösten, da es ihr offenbar ähnlich ging wie ihm. »Gnädige Frau, soviel ich weiß, ist die Umgebung von Zweibrücken sehr reizvoll und die Stadt zählt zu den vornehmsten in ganz Bayern. Immerhin stand hier die Wiege unseres Königshauses. Ich bin sicher, dass Sie sich dort wohlfühlen werden.«
    »Ach ja, mein Herr, die Stadt ist es auch nicht. Vielmehr geht es um die Kinder des Richters, die mir bereits jetzt Kummer bereiten. Sie sind schon lange Halbwaisen und haben bisher keine standesgemäße Erziehung genossen. Sie wuchsen auf dem Gut ihres Onkels bei dessen Familie in der Nähe von Zweibrücken auf. Durch die schlechten Jahre seit 1883 ging es jedoch mit dem Hof bergab. Nun brachte der Onkel die Kinder wieder zu ihrem Vater in die Stadt, da er aus finanziellen Gründen das Gut aufgeben muss. Er will mit seiner Familie nach Amerika auswandern und kann deshalb nicht länger für seine Nichten sorgen.«
    »Ja, die letzten Jahre waren für die Landwirtschaft alles andere als rosig. Schnee im Sommer und auch sonst nur kalte und dunkle Tage. Zum Glück ist der letzte Sommer wieder ein guter und warmer gewesen. Was man von den vorangegangenen wirklich nicht sagen konnte. Ich erinnere mich nicht daran, dass wir früher so trübe Tage und eine so lang anhaltende Kälte hatten wie in den letzten fünf Jahren. Nicht nur die Schäden für die Landwirtschaft sind groß, auch die Auswirkungen auf die gesamte finanzielle Lage waren offensichtlich. Selbst viele Baumaßnahmen konnten wegen der langen Kälte nicht rechtzeitig fertiggestellt werden. Habe gehört, dass die Wissenschaftler die ungewöhnlich kalten Jahre mit dem Ausbruch dieses Vulkans in Südostasien in Verbindung bringen. 1883 ist doch der Krakatau explodiert und hat anscheinend die Luft auf der ganzen Erde verpestet. Aber dieses Jahr scheint sich die Lage gebessert zu haben«, sagte Moser. Die Dame meinte: »Hoffen wir, dass uns wieder schönere Jahre bevorstehen … Der Zug setzt sich ja endlich wieder in Bewegung.« In Wilgartswiesen, der nächsten ohne Halt durchfahrenen Station, salutierte der Stationsvorsteher ordnungsgemäß, auf dem Nebengleis wartete ein Personenzug auf seine Abfahrt. Moser kam die großzügige, zweitürmige Kirche neben dem Bahnhof noch von seinem Ritt 1849 bekannt vor. Damals musste dieses imposante Bauwerk recht neu gewesen sein. Er dachte, nun konnte es nicht mehr weit bis Kaltenbach sein, so wie Sehnert es ihm in seinem Brief
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher