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Morland 02 - Die Blume des Bösen

Titel: Morland 02 - Die Blume des Bösen
Autoren: Peter Schwindt
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Immer wieder gab Hagen Lennart unverständliche Laute von sich, schluchzte, weinte, schrie und wimmerte, bis der Sonnenaufgang sie beide erlöste.
    Lennart erwiderte ihren Morgengruß nicht. Keuchend saß er aufrecht in seinem Bett, das Haar klebte an seiner Stirn. Er machte einen verwirrten Eindruck und Tess vermutete, dass es dauern würde, bis er die Schrecken der Nacht abgeschüttelt hatte. Es war sicher besser, ihn einige Zeit alleine zu lassen. So zog sie sich an und stieg die enge Treppe hinunter, um aufs Klo zu gehen und frisches Wasser für die Morgenwäsche zu holen. Außerdem musste sie eine Entscheidung treffen.
    Die Toilette erwies sich als ein heruntergekommenes Plumpsklo hinter dem Haus, das den wohlgenährten Spinnen nach zu urteilen sehr lange nicht gereinigt worden war. Tess warf die Tür wieder zu und suchte sich stattdessen einen Busch, hinter den sie sich hocken konnte. Frisches Wasser war das geringere Problem. Auf der Weide, die sich hinter der Herberge bis zum Saum eines dichten Waldes erstreckte, plätscherte eine Quelle.
    Tess kletterte über den Zaun und spritzte sich etwas vondem Wasser ins Gesicht, um dann den Krug zu füllen, den sie mitgenommen hatte.
    Die Sonne kroch gerade über den Horizont und tauchte die sanfte Hügellandschaft in ein rotes Licht. Tess setzte sich auf einen moosigen, taufeuchten Stein und beschattete mit der freien Hand die Augen. Um sie herum erwachte das Leben, als würde die Natur ein Konzert nur ihr zu Ehren geben. Vögel zwitscherten, ein Hund bellte, Bienen summten. Ein seltsames Gefühl von Sicherheit, Ruhe und Zufriedenheit begann sie von innen heraus zu wärmen. Die Welt war ein guter Ort, und Tess fragte sich, wie sie wohl aussähe, wenn es die Menschen nicht gäbe. Waren nicht all dieser Reichtum und diese Vielfalt an Formen, Farben und Gerüchen eine maßlose Verschwendung, wenn es niemanden gab, der sich an ihm erfreuen konnte? Sie dachte an Hagen Lennart, seine Verzweiflung und seinen Hass auf alle magisch Begabten. Ein Krieg hatte gereicht, um die Menschheit beinahe auszurotten. Einen zweiten durfte es nicht geben.
    Sie hatte eine Entscheidung getroffen. Tess hob den Krug hoch und eilte, so schnell sie konnte, zurück zum Gasthof. Es stellte sich heraus, dass der Wirt sogar vor Tess aufgestanden war. So kamen sie zu dieser frühen Morgenstunde überraschenderweise zu Spiegeleiern mit Speck und frischer Milch, auf der der Rahm noch schwamm. Sogar ofenwarmes Brot hatte der Wirt auf den Tisch gestellt. Es war so frisch, dass es sich noch nicht einmal vernünftig schneiden ließ.
    Hagen Lennart sprach nur das Notwendigste mit Tess, war aber dem Wirt gegenüber bei Weitem redseliger. Es gelang ihm sogar, den mürrischen Mann in ein Gespräch zu verwickeln,an dessen Ende Lennart ihm für eine beträchtliche Summe ein Gespann abkaufte. Das Pferd war zwar ein alter Klepper und die Kutsche ein einachsiger Karren, doch das Geld war gut investiert. Reisende, die in dieser dünn besiedelten Gegend zu Fuß und ohne Gepäck unterwegs waren, fielen auf.
    Nach dem Frühstück machten sie sich wieder auf den Weg und nahmen die Landstraße Richtung Süden, die sie in vier Tagen nach Lorick führen würde. Tess saß hinten auf der kleinen Ladefläche. Als sie den ersten Hügel hinter sich gebracht hatten, zügelte Lennart das Pferd und sprang vom Bock. Tess sah neugierig zu, wie er aus der Brusttasche seiner Jacke ein zusammengefaltetes Blatt Papier zog, es mit einem Feuerzeug verbrannte und dann ein kleines Lederetui in hohem Bogen fortwarf. Lennart schien kurz zu überlegen, ob er sich auch seiner Waffe entledigen sollte, steckte sie aber wieder zurück in sein Gürtelfutteral.
    »Was haben Sie da gemacht?«, fragte Tess überrascht.
    »Ich habe gerade meinen Dienst quittiert«, antwortete Lennart lakonisch und griff nach den Zügeln. Rumpelnd setzte sich die Kutsche wieder in Bewegung. Auch Hagen Lennart schien seine Entscheidung getroffen zu haben.
    Im Großen und Ganzen war es eine ereignislose Fahrt. Lennart schien sich immer weniger um seine Mitreisende zu scheren. Wenn Tess sich außerhalb der von ihm festgesetzten Pausen einmal in die Büsche schlagen musste, hielt er nicht an, sondern fuhr unbeirrt weiter, als zöge er alleine in eine Schlacht. Natürlich war es für sie kein Problem, wieder aufzuspringen, aber diese Form des Nicht-beachtet-Werdenswar überaus verletzend. Am Morgen des dritten Tages, als er sie noch immer ignorierte, platzte ihr der Kragen.
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