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Morland 02 - Die Blume des Bösen

Titel: Morland 02 - Die Blume des Bösen
Autoren: Peter Schwindt
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durch, als wollte er überprüfen, ob noch alle Organe an ihrem Platz waren.
    Tess schob den kleinen Vorhang im Türfenster beiseite und spähte hinaus auf die gegenüberliegende Straßenseite, wo die Soldaten sich jedes Haus einzeln vornahmen.
    »Wieso lassen sie diese Seite aus ?«
    »Oh, wir waren gestern an der Reihe«, sagte der Mann grimmig. »Meine Frau hat erst heute Morgen die letztenScherben aufgefegt. Warum fragst du? Hast du etwas ausgefressen?«
    Tess schüttelte den Kopf.
    »Das ist auch besser so«, fuhr der Mann fort. »Wenn sie dich nämlich einmal verhaftet haben, hast du verloren. Sie schicken dich in die Mühle.«
    »Zum Arbeiten?«, fragte Tess, die nicht verstand.
    Der Mann lächelte bitter. »So kann man es auch nennen. Kleiner, das ist das Staatsgefängnis. Kein schöner Ort. Früher steckten sie nur die ganz harten Jungs da rein. Jetzt landen dort auch diejenigen, die der Meinung sind, dass Begarell unser Land in den Abgrund reißt. Wer dort landet, der kommt so schnell nicht wieder raus.«
    Tess schaute wieder hinaus zu den Soldaten, die noch immer die Häuser durchsuchten. Ihr Herz begann wie wild zu schlagen, nicht vor Wut, sondern aus Angst um Hagen Lennart. Denn wenn er erwachte, würde sein Albtraum erst richtig beginnen.
     
    ***
     
    Es war ein Kampf gegen die Mücken, gegen die Natur und vor allen Dingen gegen die eigene Erschöpfung. Obwohl Hakon, York, Henriksson und Eliasson erst einen Tag unterwegs waren, versagten ihnen bereits die Kräfte, den Jungen sogar noch mehr als den beiden Älteren. Hakon, dessen ärmliche Kleidung zerrissen und schmutzig an seinem dünnen Körper hing, war zwar schwere Arbeit gewöhnt, doch die beschränkte sich auf das Errichten und den Abbau einesZirkuszeltes. Das erforderte Kraft, bestenfalls Geschick, aber keine Ausdauer. Schon nach der zweiten Anhöhe, die sie bewältigen mussten, lehnte er sich keuchend an einen Baum. Noch nie in seinem Leben hatte er Seitenstechen gehabt, aber diese neue Erfahrung schien sein Körper jetzt auskosten zu wollen, so bohrend war der Schmerz, der ihn daran hinderte, normal zu atmen.
    Auch York, der kräftiger und gesünder als Hakon aussah, machte nicht den frischesten Eindruck. Ähnlich wie sein Freund war er mit seinem dunkelblauen Anzug und den eleganten, halbhohen Schuhen nicht besonders passend für dieses Abenteuer in der Wildnis gekleidet. Sie hatten die Wahl: Entweder zogen sie trotz der Hitze ihre Jacken über, oder sie wurden bei lebendigem Leib von den schmeißfliegen großen Mücken ausgesaugt, die mit einem beunruhigend tiefen Brummen durch die schwüle Luft surrten und sich gierig auf die unverhofft üppige Mahlzeit stürzten. York hatte sich jedenfalls wie die anderen dazu entschieden, den Plagegeistern so wenig nackte Haut wie möglich zu präsentieren und sogar den Kragen seiner Jacke so hochgeschlagen, als wären die Geister des Winters wieder erwacht. Hakon hingegen wurde von ganz anderen Dämonen heimgesucht.
    Er dachte an Boleslav und Vera Tarkovski, die er noch bis vor Kurzem für seine leiblichen Eltern gehalten hatte. Und an seine über alles geliebte Stiefschwester Nadja. Sie alle waren von den Eskatay verhaftet worden – und Hakon war schuld daran. Er hatte seine magische Gabe, statt sie zu verbergen, in der Manege eingesetzt, und so waren die Eskatayauf ihn aufmerksam geworden. Swann, der Chef des Geheimdienstes höchstpersönlich, hatte ihn aufgespürt und in den Hochsicherheitstrakt des morländischen Staatsgefängnisses verschleppt. Dank seiner magischen Begabung und Hagen Lennarts Hilfe war ihm die Flucht geglückt, doch die Spur der Tarkovskis, die ebenfalls verhaftet worden waren, hatte sich verloren.
    Hakon hatte seine magische Begabung erst vor kurzer Zeit entdeckt. Eigentlich waren es gleich zwei Gaben. Von seiner leiblichen Mutter hatte er die Fähigkeit geerbt, Gegenstände verschwinden und wieder auftauchen zu lassen. Das war sicher beeindruckend und äußerst nützlich, doch nichts gegen seine Fähigkeit, die Gedanken anderer Menschen zu lesen oder sich ganz und gar in sie hineinzuversetzen. Es war eine magische Gabe, die ihm schon einige Male das Leben gerettet hatte, die aber auch nicht ganz ohne Nebenwirkungen war. Denn wenn er sich einmal in einen Menschen hineinversetzte, wurden dessen Erlebnisse und Erinnerungen automatisch auch ein Teil von Hakons Bewusstsein. Das war anfangs eine irritierende, später eine geradezu beunruhigende Erfahrung. Zeitweise wusste er nicht
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