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Morland 01 - Die Rückkehr der Eskatay

Titel: Morland 01 - Die Rückkehr der Eskatay
Autoren: Peter Schwindt
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waren. Vielleicht zwanzig. Vielleicht dreißig. Vielleicht fünfzig. Es war ihm auch egal, von ihm aus konnten es auch hundert oder tausend sein. Er hatte keine Angst vor ihnen. Nichts war mehr von Bedeutung.
    Die Wölfe waren stumm. Sie gaben weder ein Knurren von sich, noch heulten sie. Sie waren die Herren dieses Landes, das hatten sie bewiesen.
    Einer der Schatten löste sich aus der Finsternis und trat auf ihn zu. Es war ein graues, gewaltiges Tier, an dessen Schnauze noch das Blut seiner Opfer klebte.
    Vorsichtig ging Juri in die Knie und legte Agneta in den Schnee. Der Wolf wich keinen Schritt zurück. Ungerührt starrte er Juri an.
    »Worauf wartest du noch?«, zischte Juri. »Nur ich bin noch übrig. Los, vollende dein Werk.«
    Doch der Wolf reagierte nicht. Stattdessen ging er um Juri herum, als wollte er die Beschaffenheit dieses Menschen überprüfen.
    Juri lachte bitter. »Was ist? Verlässt dich der Mut?«
    Der Wolf stand jetzt wieder vor Juri und schob seine Schnauze so nah an dessen Gesicht, dass Juri den beißenden Raubtieratem spüren konnte. Einen langen Moment schauten sie sich in die Augen. Dann wandte sich die Bestie mit starrem Blick ab.
    »Was ist?«, rief Juri überrascht. »Bin ich deiner etwa nicht würdig?« Er sprang auf. »Los, töte mich!«
    Die dunkle Gestalt löste sich im Schatten der Nacht auf und mit ihm verschwanden die Augenpaare wie Lichter, die nach und nach gelöscht wurden.
    »Töte mich!«, schrie Juri so laut, dass sich seine Stimme überschlug, aber da hatte ihn die finstere Stille wieder umfangen. Er lief zu seinem Gewehr, lud es durch und feuerte immer wieder in die Dunkelheit, bis er keine Patronen mehr hatte. Schluchzend sank er in den Schnee. Er konnte so lange neben seiner Tochter sitzen bleiben, bis er erfroren war. Oder schauen, ob nicht irgendwo noch eine Patrone für ihn selbst herumlag. Juri wischte sich mit dem Handrücken die Nase ab und blickte schwer atmend auf den kleinen, leblosen Körper.
    Wenn er hier jetzt wie seine Freunde und seine Familie zugrunde ging, würde niemand von dieser Tragödie erfahren. Langsam, ganz langsam verwandelte sich seine Trauer in Wut. Dies alles hätte vermieden werden können. Es gab einen Schuldigen für diese Katastrophe. Oh ja, ganz sicher gab es ihn. Juri wusste nicht, wer es war, aber er würde ihn finden. Und dann würde er diesen Schweinehund zur Verantwortung ziehen, auch wenn es bedeutete, sich mit der ganzen Morstal-Gesellschaft anzulegen. Es war kein Zufall, dass er überlebt hatte: Er würde den Tod seiner Familie rächen.
    Die Wut begann ihn von innen heraus zu wärmen. Schluchzend holte Juri Luft, dann biss er die Zähne zusammen, bis die Kiefermuskeln schmerzten. Er musste sich zusammenreißen.Er hatte jetzt ein Ziel, eine Aufgabe, eine Mission: Er musste leben, damit die starben, die seiner Frau und seiner Tochter dies hier angetan hatten.
    Doch er konnte nicht sofort aufbrechen. Erst einmal musste er die Toten begraben. Er trug die Leichen in das Iglu. Im Frühjahr würde er wiederkommen, um ihnen ein anständiges Begräbnis zu verschaffen. Er gab seiner Frau und seiner Tochter einen letzten Kuss, bevor er den Eingang mit einem Eisquader verschloss.
    Die Hunde waren fort. Den Spuren nach zu urteilen, waren sie vermutlich ebenfalls von den Wölfen gerissen worden. Der Schlitten fiel also als Transportmittel aus. Juri nahm es mit einem Schulterzucken zur Kenntnis. In den Bergen hätte er sich ohnehin von ihm trennen müssen. Juri suchte die Ausrüstungsgegenstände zusammen, die er noch gebrauchen konnte, und schnallte sich die Ski wieder an. Der Weg, den er vor sich hatte, war lang und gefährlich. Er wusste nicht, welches Schicksal auf ihn wartete, doch schlimmer als das, was er am Fuß dieses Berges erlebt hatte, konnte es nicht mehr werden. Mit seiner Familie war auch ein Teil von ihm gestorben. Außer dem immer stärker werdenden Hass spürte er nichts mehr.
     
    Gut zwölf Stunden benötigte Juri, um das Talende zu erreichen. Sein Körper fühlte sich taub an, und daran war nicht nur die Kälte schuld. Zwei Tage hatte er jetzt nicht mehr geschlafen. Immer wieder musste er sich dazu zwingen, eine Rast einzulegen, um über seiner Karbidlampe, die er auch als Kocher benutze, in einem zerbeulten Essgeschirr Schnee zuschmelzen. Obwohl er keinen Durst verspürte, erinnerten ihn die Kopfschmerzen daran, dass er regelmäßig trinken musste. Das Trockenfleisch, ohnehin schon so zäh wie Leder, war durch die Kälte
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