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Morland 01 - Die Rückkehr der Eskatay

Titel: Morland 01 - Die Rückkehr der Eskatay
Autoren: Peter Schwindt
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brummte Juri und überprüfte die festgezurrten Gurte. »Außerdem muss Iveta das Kind noch reisefertig machen.«
    »Wir hätten uns im Sommer auf den Weg machen sollen«, sagte Pranas. »Da hätten wir genug Licht gehabt. Und diese verdammte Kälte ...«
    »Ich habe keine Lust, diese müßige Diskussion zum hundertsten Mal zu führen. Es gibt keine befestigten Wege. Wir wären im Schlamm versunken und die Mücken hätten uns bei lebendigem Leib aufgefressen.«
    »Vielleicht wäre das besser gewesen, als draußen in der Eiswüste zu erfrieren«, sagte Pranas leise.
    Juri wirbelte herum und packte seinen Freund beim Pelzkragen. »Niemand wird sterben, hörst du? Weder du noch ich noch Iveta oder Agneta! Hast du mich verstanden?« Er holte ein paarmal tief Luft, dann ließ er los. »Wir werden es schaffen«, sagte er ruhiger.
    »Was immer du sagst«, entgegnete Pranas und hob beschwichtigend die Hände. »Du bist hier der Boss.«
    Juri nickte. »Gut.«
    »Dann werde ich mal wieder zu den anderen gehen«, sagte Pranas unsicher.
    »Tu das. Und sag ihnen, dass wir gleich da sind.« Ohne den Mann eines weiteren Blickes zu würdigen, kümmerte sich Juri wieder um den Schlitten.
    Mittlerweile waren Iveta und Agneta auch fertig. Das kleine Mädchen war so dick eingepackt, dass es kaum gehenkonnte. Über dem Gesicht trug es eine Mütze, die nur die Augen freiließ. Und selbst die konnte Juri nicht sehen, da sie hinter einer großen Schneebrille verborgen waren.
    »Bist du das wirklich, Agneta?«, fragte Juri. »Oder versucht mir deine Mutter einen Troll unterzuschieben?«
    Agneta gluckste. »Natürlich bin ich es.« Sie wedelte mit den Armen und wankte auf ihn zu. Juri hob sie hoch und drückte sie.
    »Da bin ich ja beruhigt. Stell dir vor, wir kämen in Morvangar an und ich müsste feststellen, dass ich ein Koboldkind mitgenommen habe.«
    Iveta nahm im Schlitten Platz. Juri setzte ihr Agneta auf den Schoß und deckte sie mit Fellen zu.
    Die Hunde waren angeschirrt. Nun ging Juri ein letztes Mal zum Haus zurück, um das Gewehr und den Beutel mit der Munition zu holen, die an einem Haken bei der Tür hingen. Er hängte sich beides um, sodass die Riemen sich über seiner Brust kreuzten.
    Einen letzten Blick erlaubte er sich. Endlich kehrten sie dieser Hölle den Rücken. Er zog die Tür zu und schloss sie ab. Einen Moment betrachtete er nachdenklich den Schlüssel, dann warf er ihn in hohem Bogen fort.
    Als Juri und Iveta von der Morstal-Gesellschaft mit großen Versprechungen in den Norden gelockt worden waren, hatten in Horvik knapp viertausend Menschen gelebt. Die meisten schufteten in den Bergwerken. Die Siedlung war damit komplett von den Zuwendungen der Morstal-Gesellschaft abhängig, die von dem Konzern mit den Jahren immer weiter gekürzt wurden, sodass der Exodus derjenigen,die es sich leisten konnten, nicht mehr aufzuhalten war. Zurück blieben Leute wie Juri: arm, ungebildet und vor allen Dingen entbehrlich.
    Es war ein armseliger Haufen, der sich unter seiner Führung auf den Weg in das Gelobte Land machte. Sieben Familien traten diese Reise an. Doch als Juri in die Runde schaute, stellte er fest, dass einige fehlten.
    »Wo sind deine Eltern?«, fragte er Pranas. »Arnur und Hekla? Ich sehe sie nirgendwo.«
    Pranas senkte den Blick, und Juri verstand. Sie hatten den sicheren Tod gewählt, damit die anderen leben konnten – sie wären nur eine Last gewesen. Und mit einem Mal erfüllte ihn ein Hass, der kälter war als all das Eis, das ihn umgab. Er schwor sich, in Morvangar die Schuldigen an dieser Tragödie zur Verantwortung zu ziehen und wenn es der Direktor von Morstal persönlich war. Schweigend setzte er sich mit seinem Schlitten an die Spitze des Trecks. Er zog die Wollmaske über das Gesicht und mit einem lauten Schrei trieb er die Hunde an. Sie hatten einen weiten Weg vor sich.
    Die ersten vierhundert Meilen waren wie eine Reise durch ein Wintermärchenland. Der volle Mond zog statt der Sonne seine Bahn über den sternklaren Himmel und tauchte alles in sein glitzerndes Licht. Weit entfernt am Horizont leuchtete das geisterhafte Farbenspiel des Polarlichts.
    Alle drei Stunden legte der Tross eine Rast ein. Dann entzündete man ein Feuer, kochte Tee, aß getrocknetes Rentierfleisch und schmiedete gut gelaunt Zukunftspläne. Zum ersten Mal seit langer Zeit spürten sie so etwas wie Freiheit.
    Keiner mochte an die elenden Jahre in Horvik zurückdenken, obwohl sie erst wenige Tage her waren, und kaum einer
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