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Morland 01 - Die Rückkehr der Eskatay

Titel: Morland 01 - Die Rückkehr der Eskatay
Autoren: Peter Schwindt
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sondern auch gleichzeitig einen Versicherungsbetrug geplant habe, um so seine marode finanzielle Situation zu verbessern. Na was denn nun?, dachte Tess. Entweder ein politischer Anschlag oder ein Versicherungsbetrug! Aber wer wäre schon so blöd, so etwas zu glauben? Tess hatte im Waisenhaus nie viel Zeitung gelesen, einmal aus Mangel an Gelegenheit, zum anderen weil die Blätter, die die Wärter mitbrachten, in der Mann-beißt-Hund-Klasse spielten. Das Morländische Abonnentenblatt gehörte eindeutig dazu, denn auf Seite drei trampelte man eine besonders gruselige Geschichte über enthauptete Leichen breit. Erst auf Seite vier erfuhr man, was wirklich wichtig war. Dann kam auch schon der Lokalteil, gefolgt von den Anzeigen. Seufzend legte sie die Zeitung beiseite und schaute gelangweiltaus dem Fenster, an dem die Landschaft wie ein Strom nicht greifbarer Bilder vorbeifloss.
    »Ich geh mir mal die Beine vertreten«, sagte sie und sprang auf.
    Henriksson schlug die Augen auf und setzte sich aufrecht hin. »Gut. Bleib aber nicht zu lange.«
    Als Tess von der dritten Klasse, die mit Holzbänken ausgestattet war, in die zweite kam, sah sie sich neugierig um. Hier waren die Sitze gepolstert und hatten Lederbezüge, auch wenn sie schon ein wenig abgewetzt waren. Die Leute, die hier saßen, waren besser gekleidet und reisten im Gegensatz zu den Bauern und Arbeitern der dritten Klasse nur mit leichtem Gepäck.
    In der ersten Klasse, die nur aus zwei Waggons bestand, gab es geschlossene Abteile mit jeweils vier Sitzen. Im Gegensatz zu den beiden anderen Klassen wurden hier die Fahrgäste am Platz bedient. Es waren ausschließlich Männer, die hier saßen, die meisten lasen Zeitung. Zwei von ihnen erregten Tess’ besondere Aufmerksamkeit. Sie saßen zu zweit in einem Abteil einander gegenüber und sprachen kein Wort, obwohl sie sich offensichtlich kannten. Der eine war dünn wie ein verhungerter Kranich und hielt eine hölzerne Kiste auf dem Schoß; er hatte einen Hut tief ins Gesicht gezogen, sodass Tess sein Gesicht nicht sehen konnte. Der andere war feist und hatte etwas Gemeines an sich, was durch die Glatze und die randlose Brille noch unterstrichen wurde.
    »Nächster Halt Tallwick«, rief der Schaffner, der jetzt durch jeden Waggon lief. Er war jetzt erst einmal damit beschäftigt, die Passagiere auf die Einfahrt in den nächsten Bahnhof hinzuweisen,also blieb Tess im Gang der ersten Klasse stehen und sah aus dem Fenster.
    Mittlerweile musste es gegen Mittag sein. Auf dem Bahnsteig drängten die Leute in die Züge und verteilten sich auf die einzelnen Waggons. Die meisten waren ärmlich gekleidet. Ein Pfiff ertönte und die Türen wurden zugeschlagen. Langsam setzte sich der Zug in Bewegung.
    Tess linste vorsichtig in das Abteil mit den zwei seltsamen Männern, die immer noch kein Wort gewechselt hatten. Sie wirkten, als könnten sie sich auf den Tod nicht ausstehen, dennoch schien es eine unsichtbare Verbindung zwischen den beiden zu geben.
    »He, du!«
    Tess zuckte zusammen.
    »Junge, dürfte ich bitte deinen Fahrschein sehen?«, knurrte der Schaffner.
    »Ähm«, machte Tess und lächelte nervös. »Den haben meine Eltern.« Sie waren vor Antritt der Reise übereingekommen, sich als Familie auszugeben, das würde weniger Verdacht wecken.
    »Und wo sind deine Eltern?«
    »Im letzten Waggon«, sagte sie kleinlaut.
    »Also in der dritten Klasse«, schnaubte der Mann, als hätte er nur auf die Bestätigung seines Verdachts gewartet. Er machte mit dem Zeigefinger eine Geste, die sie dazu aufforderte, ihm zu folgen.
    Natürlich war dieses kleine Schauspiel nicht ohne Publikum über die Bühne gegangen. Der Mann mit der Glatze musterte sie aufmerksam durch die gläserne Abteiltür. Plötzlichdurchzuckte Tess ein jäher, bohrender Kopfschmerz. Stöhnend sackte sie zusammen, woraufhin sich der Schaffner entnervt zu ihr umdrehte. Als er aber sah, dass sie sich tatsächlich nicht wohl fühlte, griff er ihr unter den Arm und richtete sie wieder auf.
    »Alles in Ordnung mit dir?«, fragte er, plötzlich besorgt.
    Sie nickte benommen und ergriff seinen Arm, den er ihr als Stütze angeboten hatte. Ihr Blick fiel erneut auf den Glatzkopf. Sein Blick hatte auf einmal einen euphorischen Glanz, so als wäre er aufs Erfreulichste überrascht worden.
    Tess taumelte weiter und stieß in einem Wagen der zweite Klasse mit einem Jungen zusammen, der mit seiner Familie in Tallwick eingestiegen war. Die Zwillingsmädchen schienen den Spaß
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