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Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung

Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung

Titel: Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung
Autoren: Eric Malpass
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Zeit bis halb sieben, dachte Tante Rosie. Wenn er dann noch nicht erschienen ist, verschwende ich keinen einzigen Gedanken mehr an ihn.
    Um halb sieben dachte sie: Er könnte doch noch kommen. Vielleicht ist er im Nebel nur falsch abgebogen und verspätet sich deshalb. Um sieben warf sie Becky einen Blick zu und dachte: Warum hat sie immer einen jungen Mann an der Hand? Die werden nie aufgehalten. Aber wenn ich zum erstenmal einen Mann zum Abendessen einlade, muß ihn natürlich der Nebel aufhalten. Und dabei bin ich schon dreißig, und es wird höchste Zeit.
    Um acht hatte sie nur noch den einen Wunsch, daß der Abend rasch zu Ende gehe. Sonst genoß sie das Wochenende als eine Unterbrechung des Schulbetriebes. Aber heute sehnte sie sich nach ihrer Schule, wo sie den lieben Bobs Wiedersehen würde.
    Zeit zum Abendessen. Alle gingen hinüber. Zu ihrer großen Erleichterung erwähnte keiner den leergebliebenen Stuhl. Endlich durfte sie in ihr Zimmer hinaufgehen. Sie sah aus dem Fenster. Der Nebel hing vor den Scheiben wie eine schmutziggraue Felddecke. Die Welt draußen war leer und leblos. Der ganze Tag war leer gewesen, leer wie die Vergangenheit und leer wie die Zukunft. Wenn Bobs sie liebte, wirklich liebte, dann wäre er gekommen, auch tausend Meilen hätten ihn nicht geschreckt. Jetzt aber wußte sie die Wahrheit.
     

3
     
    Nachdem der Nebel seine schmutzige Arbeit verrichtet hatte, faltete er wie die Araber seine Zelte zusammen und stahl sich über Nacht davon. Der Montagmorgen war hell und freundlich, als sei der Kalender plötzlich zum September zurückgeschnellt. Im Hof sang ein Vogel; ein letzter Freudenausbruch vor dem Schweigen des Winters. Gaylord wachte auf und rannte sofort zu Mummi und Paps. Aber sie waren ihm zuvorgekommen. Sie waren beisammen und bereits angezogen. Sie lächelten ihm voller Milde entgegen. «Auf der Jagd nach Neuigkeiten?» fragte Paps.
    Gaylord war ziemlich gekränkt. Sie wollten ihn also nicht mehr ins Vertrauen ziehen. «Hat Paps auf dem Dachboden geschlafen?» fragte er.
    Wieder lächelten sie ihn an. Dann lächelten sie einander zu. Sie schwiegen. Gaylord zog ab. Sein Interesse erlahmte. Er verbrachte eine nachdenkliche halbe Stunde, eingeschlossen auf dem Klo. Dann wanderte er in die Dorfschule, wo er den Lehrstoff mühelos in sich aufnahm wie ein Schwamm, der sich mit Wasser vollsaugt.
    Tante Becky wurde in einem grünen Sportwagen abgeholt und flitzte in die Stadt, wo sie ihre Arbeit als Privatsekretärin mit Charme und überraschender Tüchtigkeit verrichtete.
    Tante Rose strampelte grimmig auf einem alten, klapprigen Fahrrad die zwei Meilen bis zum Bahnhof. Sie würde Bobs Wiedersehen. Ungeduldig hockte sie im kalten Zweiter-Klasse-Abteil auf der Kante der Sitzbank, während der Zug schnaubend durch den hellen Morgen zuckelte. Gleich würde er in den Bahnhof einfahren. Vielleicht, dachte sie, vielleicht steht Bobs auf dem Bahnsteig und holt mich ab Er hatte das noch nie getan. Aber heute war es etwas anderes. Erklärungen, Entschuldigungen und verzeihende Worte waren im Lehrerzimmer nicht gut möglich. Sie streckte den Kopf zum Fenster hinaus. Der Bahnsteig war leer. Sie hastete in die Schule. Der Zug hatte Verspätung gehabt, und als sie endlich ankam, waren die anderen Lehrer bereits in ihren Klassenzimmern, wo sie den allwöchentlichen Kampf Wiederaufnahmen, gleichgültigen, widerspenstigen Kinderhirnen das Beste einzutrichtern, was je gedacht oder geschrieben worden war. Sie traf Bobs erst in der großen Pause.
    Er stand mit dem Langweiler Symons am anderen Ende des Lehrerzimmers. Als er sie sah, blickte er beiseite. Schließlich arbeitete er sich aber doch durch den überfüllten Raum bis zu ihr hindurch. «War das nicht eine Gemeinheit», sagte er. «Du hast hoffentlich nicht auf mich gewartet.»
    «Gott behüte, nein», antwortete sie.
    «Bei so einem Wetter kriegt man J. R. Roberts nicht auf die Straße», sagte er. «Dafür ist ihm seine Haut zu kostbar.»
    «Es wäre auch wirklich töricht gewesen.»
    «Töricht! Das kann man wohl sagen!» Er lächelte vertraulich auf sie herab. «Nicht mal der Königin von England zuliebe wäre ich gestern abend aus dem Haus gegangen.»
    «Vielleicht hast du Lust, nächste Woche zu kommen», schlug sie vor und spielte nervös mit einem Drehbleistift.
    «Okay», sagte er. «Wenn du für besseres Wetter garantierst.»
    «Ich werde mein Bestes tun», erwiderte sie leichthin, obwohl ihr fast das Herz brach. Sie senkte die Stimme.
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