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Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung

Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung

Titel: Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung
Autoren: Eric Malpass
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tust», erklärte er schlicht und überzeugend.
    Gaylord lief ein wohliger Schauer den Rücken hinunter. Aber er steckte scheinbar gelassen die Hände in die Hosentaschen und fragte beiläufig: «Hast du schon mal jemand getötet, Willie?»
    Willie öffnete den Mund und wollte antworten. Dann trat wieder der Ausdruck halbirrer Verschlagenheit in sein Gesicht. «Los, komm», sagte er nur und zerrte Gaylord unsanft aus der Hütte, dem Dorfe zu, dessen gelbe Lichter bereits in der Dämmerung schimmerten.
     
    Gaylord gab sich sorglos und pfiff durch die Zähne, als er, die Hände in die Hosentaschen, zu Hause ankam. Mummi brauchte ihn nur anzusehen. Und sie fragte sofort: «Hallo, was hast du wieder angestellt?»
    «Gar nichts», sagte Gaylord gekränkt. Seine Stimme und sein Gesicht waren ein einziger Vorwurf.
    «Dafür hast du aber ziemlich lange gebraucht.»
    «Wofür?»
    «Gar nichts zu tun.»
    «Ich bin in der Schule gewesen», beteuerte Gaylord.
    «Ich meine, was du danach getan hast.»
    Gaylord machte ein erstauntes Gesicht. «Ich bin na Hause gegangen.»
    «Dann mußt du aber wirklich sehr langsam gegangen sein.»
    Er humpelte mit schmerzverzerrtem Gesicht durch die Küche. «Hab was am Bein», sagte er. «Die Lehrerin meint, es ist vielleicht gebrochen.»
    Sie warf ihm einen Blick zu, der ihm gar nicht behagte.1 «Hast du etwa mit Willie gesprochen?» fragte sie vorwurfsvoll.
    Mummi war wirklich ekelhaft argwöhnisch. Gaylord war immer wieder betroffen davon, er sah darin einen schwerwiegenden Charakterfehler. Seine blauen Augen sahen sie voll gekränkter Unschuld an. Aber es war merkwürdig mit Gaylord: Schwindeleien und Ausflüchte waren für ihn das tägliche Brot, aber wenn es um eine richtige, faustdicke Lüge ging, meuterte sein Gewissen. «Nicht direkt gesprochen», sagte er.
    «Also, was dann direkt?» fragte Mummi und wirkte dabei größer als zwei Meter. Aber jetzt hatte Gaylord sie mit Er-Ä folg vom geraden Weg der Wahrheit oder der Lüge weggelotst und die weitverschlungenen Pfade der Vermutungen und Halbwahrheiten erreicht. «Er sagte: , und ich sagte: .» Seine Stimme nahm wieder einen beleidigten Tonfall an. «Ich konnte doch nicht nicht sagen, wenn er gesagt hatte, oder?»
    «Und was geschah dann?» fragte Mummi.
    «Dann bin ich nach Hause gekommen», antwortete Gaylord. Das war er schließlich ja auch. Hier stand er, um es zu beweisen.
    «Geradewegs nach Hause?» bohrte Mummi weiter.
    Manche Menschen konnten sich mit einer schlichten Erklärung einfach nicht zufriedengeben. «Beinahe», sagte Gaylord und hatte das Gefühl, als hätte er damit die Schleusen zu einer Flut von Fragen geöffnet.
    Zu seiner Überraschung drang Mummi nicht weiter in ihn. Statt dessen setzte sie sich, legte ihm die Hände auf die Schultern, sah ihn ganz ernst an und sagte: «Gaylord, du sollst mit Willie weder reden noch dich mit ihm treffen. Damit ist es mir sehr ernst.»
    «Aber warum denn, Mummi?»
    Schweigen. Dann: «Ich weiß es nicht, Gaylord, ich weiß es wirklich nicht», sagte Mummi, es klang fast so, als ob sie mit einem Erwachsenen spräche. «Ich hab einfach das Gefühl, es ist nicht... ratsam.»
    «Nur weil er nicht alle Tassen im Schrank hat?»
    «So etwas sagt man nicht», meinte Mummi, «aber... ja, ich glaube deshalb.»
    Mummi machte ein sehr nachdenkliches Gesicht, und Gaylord fand den Augenblick für ein Ablenkungsmanöver günstig. «Ist Tante Rosies Liebhaber gekommen?» fragte er.
    «Du mußt es mir versprechen», sagte Mummi.
    «Was denn versprechen?» fragte Gaylord, als wüßte er von nichts.
    «Dich nicht mit Willie zu treffen.»
    Schnell vollzog er sein Geheimritual. «Gaylord», schrie Mummi voller Entsetzen. «Laß mich das ja nur nicht noch einmal sehen.»
    «'tschuldige, Mummi», sagte Gaylord zerknirscht und begriff im gleichen Augenblick, daß er damit eigentlich gar nichts versprochen hatte und daß Mummi das auf keinen Fall merken durfte.
    «Die Lehrerin sagt immer, »
    «Du sollst solche Worte nicht in den Mund nehmen», erwiderte Mummi.
    Jetzt steuerten sie weg von Willie, auf die offene See hinaus. «Die Lehrerin sagt das auch immer», sagte Gaylord.
    Mummi seufzte. Wenn die Lehrerin nur die Hälfte der Dinge sagte, die Gaylord berichtete, mußte sie eine recht sonderbare Person sein. «Gibt es nicht bald Tee?» fragte Gaylord und
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