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Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung

Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung

Titel: Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung
Autoren: Eric Malpass
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«Bobs, ich war so enttäuscht, daß du nicht kommen konntest.»
    «Ja, aber wir können das englische Klima nun mal schlecht
    ändern, nicht wahr?»
    Da klingelte es. Sie lächelte ihn matt an. «Ich muß zurück
    zu den Kindern.»
    «So ist es», sagte er. «Zurück in die alte Tretmühle.» Er klopfte seine Pfeife aus.
    Sie konnte sich noch immer nicht losreißen. «Also dann nächsten Sonntag», sagte sie, «wenn nichts dazwischenkommt.»
    «Wenn nichts dazwischenkommt», sagte er abwesend, während er seine Bücher zusammensuchte. Er ging hinaus, und sie spürte deutlich, daß er sie bereits vergessen hatte.
     
    «Komm gleich nach Hause», hatte Mummi befohlen, und Gaylord gehorchte auch, fast. Nur einen ganz kleinen Umweg über den alten Steinbruch machte er.
    Der helle Morgen hatte sein Versprechen nicht gehalten. Um die Mittagszeit hatte sich hoch oben eine dünne Wolkenschicht der Sonne genähert und sich langsam herabgesenkt, den Sonnenschein erst verschleiert, dann ganz ausgelöscht und schließlich einen kalten Frost über die klamme Erde gebreitet. Die unsichtbare Sonne senkte sich dem Untergang entgegen, und als Gaylord den Steinbruch erreichte, lag bereits Dämmerung schwer über dem Land. Gaylord stapfte ins nasse Unterholz. Und da stand auch Willie, müßig und selbstverständlich wie ein Baum.
    «Du wolltest mir doch was zeigen?» fragte Gaylord.
    «Du wolltest ja nicht mitkommen», sagte Willie.
    «Jetzt will ich aber.»
    Willie bewegte sich träge. «Na, dann komm», sagte er. Sie marschierten los.
    Über einen feuchten Fußweg gingen sie auf den Fluß zu. Sie verließen den Weg und bogen in einen von hohen Buchsaumhecken gesäumten Pfad ein, auf dem Brennesseln und Sauerampfer moderten. Dann gelangten sie zu den sumpfigen Wiesen.
    Die Wolken hatten sich in diesen letzten Augenblicke des Tages auseinandergezogen, über dem strudelnden Fluß lag ein schwaches, wässeriges Licht, es fiel auf die verwitterten Steine einer alten Fischerhütte. Dorthin lenkte Willi seine Schritte. Wieder erklang in Gaylords Kopf eine warnende Glocke. «Wohin gehen wir?» fragte er zögernd.
    «Da drinnen ist es», sagte Willie.
    Gaylord hörte nicht auf die warnende Glocke. Das war genau der richtige Ort für verborgene Schätze. Sie traten in die baufällige Hütte. Aus dem geborstenen Steinfußboden trieben Baumschößlinge und Grasbüschel hervor, das Dach war im Lauf der Jahre eingesunken. Da war ein Herd mit einem rußigen, zerbrochenen Rost. Willie sah Gaylord plötzlich voller Mißtrauen, fast feindselig an. Er packte ihn beim Arm. «Versprich, daß du keinem was verrätst», sagte er.
    «Versprochen», sagte Gaylord und vollzog ein kunstvolles, geheimes Ritual, bei dem er sich bekreuzigte, ausspuckte und die Augen verdrehte.
    Willie ging auf den Rost zu. Er riß eine Schicht von vertrocknetem Gras weg. Gaylord trat neben ihn und spähte erwartungsvoll darauf. Dort lag in einem Nest von Zweigen und Blättern das Schönste, was Gaylord je gesehen hatte. Es funkelte und glänzte sogar in diesem Dämmerlicht. Ehrfürchtig hob Willie es heraus. Gaylord starrte es begierig an «Was ist das?»
    «Ein Briefbeschwerer», sagte Willie.
    «Wofür?»
    «Weiß nicht.» Zärtlich ließ Willie seine dicken weiße Finger über das glatte Glas gleiten, betrachtete liebevoll da Bild des Rathauses von Leeds, das darin, wie eine Fliege in Bernstein, eingeschlossen lag. «Laß es mich auch mal in die Hand nehmen», bat Gaylord.
    Ganz vorsichtig gab Willie es ihm. Es war mächtig schwer, eine große glatte Kugel aus Glas, in die das hübsche Bild eingeschlossen war. Es war wunderbar, die Kugel anzufassen, wunderbar, sie anzuschauen. Gaylord war hingerissen. Doch plötzlich riß Willie sie ihm grob, aber geschickt aus der Hand. Er legte sie an ihren Platz zurück, deckte sie ehrfürchtig, wie ein Priester die geweihten Gefäße, zu und sah sich wieder mit der merkwürdigen Mischung aus Argwohn und Mißtrauen nach Gaylord um. «Wetten, daß du es jemandem verrätst?»
    «Bestimmt nicht», sagte Gaylord. Er wiederholte das Ritual.
    «Ich wollte, ich hätt es dir nicht gezeigt», sagte Willie. Plötzlich verzog sich sein bleiches, schwabbeliges Gesicht zu einem Weinen. «Du wirst jemand davon erzählen, und dann nehmen sie es mir weg», schniefte er.
    «Ich tu’s bestimmt nicht, Willie», beteuerte Gaylord.
    Willie hob eine Hand und wischte sich die Tränen ab. Er machte ein verschlagenes Gesicht. «Ich mach dich tot, wenn du’s
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