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Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung

Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung

Titel: Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung
Autoren: Eric Malpass
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Willie hatte nicht alle Tassen im Schrank. Gaylord kannte sonst keine Menschenseele, die nicht alle Tassen im Schrank hatte, und es war wieder einmal typisch Mummi, daß sie ihm gerade den Umgang mit einem so faszinierenden Wesen verbot.
    Willie streckte seine große Pranke aus und nahm Gaylord bei der Hand. Sie zogen los.
    «Ziemlich still, nicht?» sagte Willie.
    Er hatte recht. Kein Vogelruf, kein einziger Laut. Einmal schimmerte durch die Dämmerung ein sanfter gelber Schein, aber sie ließen ihn hinter sich. Stille, Nebel, der von nassem, vergilbendem Gras gesäumte, feuchte Weg. Und sonst nichts auf der ganzen weiten Welt.
    Sie gingen weiter. Der gesunde Menschenverstand, der bei Gaylord immer auf der Lauer lag, schob sich energisch in sein Bewußtsein. «Glaubst du, daß wir uns schon verlaufen haben, Willie?» fragte er und hielt inne.
    «Ja», sagte Willie und umklammerte seine Hand noch fester.
    Gaylord stemmte die Füße auf den Boden. «Ich geh jetzt zurück», erklärte er.
    Willie zerrte an seiner Hand. «Du hast ja bloß Angst», sagte er.
    «Nein, hab ich nicht», erwiderte Gaylord.
    Schweigend kämpften sie auf dem verlassenen Weg. Aber Willie war achtzehn und sein Körper wesentlich stärker als sein armer, schwacher Verstand. Gaylord konnte sich nicht losreißen. «Muß dir was zeigen», lockte ihn Willie.
    «Was denn?»
    «Warte, bis du’s gesehn hast», sagte Willie.
    Vielleicht hatte Willie einen vergrabenen Schatz entdeckt. Mürrisch ging Gaylord ein Stückchen weiter. Aber plötzlich war der Nebel wie von Geräusch durchtränkt. Das Geräusch wurde lauter. Der Nebel vor ihnen begann zu leuchten und verdichtete sich zu zwei trüben gelben Augen. Quietschend hielt das Auto. «Gaylord», rief eine Stimme.
    «Andermal», sagte Willie und verschwand im Nebel.
    Gaylord ging auf den kleinen roten Sportwagen zu und spähte hinein. Enttäuscht stellte er fest, daß es sich um keine Suchaktion handelte. Es war nur einer von Tante Beckys jungen Männern. «Gaylord, willst du einsteigen und mir den Weg zeigen?» fragte er höflich.
    «Wenn Sie möchten», sagte Gaylord großzügig und kletterte hinein. Fünf Minuten später landete er unbemerkt wieder im Schoße der Familie.
    Wenigstens glaubte er das. Mummi blickte ihn plötzlich scharf an und fragte: «Wo warst du?»
    «Draußen», erklärte Gaylord lammfromm.
    «Wo draußen?»
    «Nur so draußen», sagte Gaylord. Mit teuflischer List wechselte er das Thema. «Ist Tante Rosies Liebhaber schon gekommen?»
    Damit erreichte er genau, was er wollte. «Mr. Roberts kommt erst zum Abendessen», zischte Tante Rosie, und der Sportwagenmensch, glücklich und händchenhaltend mit Becky auf dem Sofa, spitzte die Ohren und fragte: «Nanu, Rosie? Bist du etwa ein stilles Wasser?»
    «Ich wette, er kommt nicht», sagte Gaylord. «Ich mache jede Wette, daß er nicht kommt.»
    «Na schön.» Tante Rosies Stimme klang eisern beherrscht. «Dann kommt er eben nicht.»
    «Der Nebel wird dicker und dicker und dicker», sagte Gaylord. «Ich wette, daß er einen Unfall baut, wenn er es doch versucht.»
    «Vielleicht liegt er bereits in einer Lache von geronnenem Blut», sagte Tante Rosie aufgebracht.
    Gaylord dachte nach. «Was ist geronnen?» fragte er.
    «Dickes Blut. Dick und klebrig.»
    «Geronnen», wiederholte Gaylord. «Geronnen, geronnen, geronnen.» Ein herrliches Wort. Es gefiel ihm. Er würde es sich für die Zukunft merken. Dann fiel ihm etwas anderes ein. «Ich wette, daß Tante Beckys junger Mann heute hier übernachten muß. Er schläft dann bei...»
    Opa schleuderte den auf den Fußboden. «Hörst du jetzt endlich auf, zu entscheiden, wer in diesem Haus
    bei wem schläft?»
    Gaylord war beleidigt. «Ich hab doch nur gesagt...»
    «Hör auf damit.»
    Nun wandte sich Gaylord an Tante Beckys jungen Mann. «Paps hat heute nacht auf dem Dachboden geschlafen», sagte er beiläufig. «Er war mit Mummi verschiedener Meinung.»
     
    Dunkelheit und Nebel umschlichen und umschlossen das Haus immer dichter. Drinnen jedoch tanzte das Kaminfeuer, und die Familie fand sich zum Sonntagabend zusammen. Becky und ihr junger Mann hielten Händchen und kicherten ab und zu. Rose, den aufgeschlagenen Freud auf den Knien, tat, als lese sie, sobald sie sich von einem Familienmitglied beobachtet glaubte, starrte sonst aber nur vor sich hin. Opa arbeitete sich noch immer durch die Mammutseiten des hindurch. Mummi nähte an einem Treppenläufer. Großtante Marigold,
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