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Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung

Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung

Titel: Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung
Autoren: Eric Malpass
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Hand auf seinen Arm. «Es ist soweit, Liebling.» Er mußte krampfhaft nachdenken. Dann, plötzlich: «Großer Gott, du meinst...»
    Sie nickte nur.
    Er brachte sie ins Entbindungsheim und fuhr nach Hause. Keine May. Kein Gaylord. Aber vielleicht gelang es ihm jetzt, wo er allein war, nachzudenken, was ihm nicht gelungen war, seit sich das alles ereignet hatte. Diese Sache mußte er vor dem Hintergrund seines Lebens und seiner Überzeugungen sehen. Mußte alle Fäden zusammenziehen. Eine alte Frau gestorben, eine junge Frau in den Wehen. Ein Gott im Himmel, die Schönheit des Sommers, ein Kind fast zu Tode geprügelt. Sonnenschein, Sternenschimmer, Lachen, die Liebe gütiger Herzen; Klauen, Schnabel und Fänge, ein trauriges kleines Federbündel an einem lieblichen Maimorgen.
    Wo lag die Antwort? Er wußte es nicht. Irgendwo, vielleicht in seinem Unterbewußtsein, lag sie bereit. Eines Tages würde es ihm gelingen, zu ihr vorzustoßen. Aber nicht jetzt. Nicht jetzt.
     
    Stan sagte zu Rose: «Wenn es dir recht ist, übernachte ich heute im Dorf. Ich möchte doch noch wissen, wie es Gaylord geht, ehe ich heimfahre.»
    «Ja, tu das», sagte sie. «Du mußt verstehen, daß wir dich leider nicht bei uns unterbringen können, aber komm wenigstens zum Frühstück herüber.»
    Er strahlte. «Gut, wenn du meinst...»
    Er erschien also zum Frühstück. Und als sie dabei saßen, kam Jocelyn herein, mit einem Gesicht, als hätte er die ganze Nacht keinen Schlaf gefunden, und sagte: «Es ist ein Mädchen. Und Gaylord ist bei Bewußtsein und hat schon wieder Hunger. Ich habe sie gesehen, alle drei. Meine beiden Küken und ihre Glucke.» Er lachte unsicher, setzte sich hin und begann still zu weinen.
     
    Später nahm er Rose und Stan beiseite und sagte: «Grebbie, Sie wissen, daß Sie Gaylord das Leben gerettet haben. Ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken soll.»
    Zuerst machte Stan ein Gesicht, als wolle er losheulen, weil er so gerührt war. Dann hellte sich sein Gesicht immer mehr auf, und es schien, als würde er vor Stolz bersten. Aber bescheiden sagte er: «Zufall, daß Erste Hilfe mein Hobby ist.»
    «Wirklich, du hast ihm das Leben gerettet, Stan», rief Rose und blickte ihn an, als wäre er der wunderbarste Mensch, den es je gegeben hatte.
    Jocelyn sagte: «Wenn ich ein Königreich besäße, würde ich es Ihnen schenken. Oder die Hand meiner Tochter, wenn sie nicht noch so klein wäre.»
    Da wurde Stan bis unter die Haarwurzeln rot und schluckte und lächelte und wurde wieder ernst und stammelte: «Sie können mir die Hand Ihrer Schwester anbieten, Mr. Pentecost.»
    Ehe Jocelyn diesen Satz so recht begriffen hatte, warf sich Rose mit dem entzückten Aufschrei: «Stan!» Mr. Grebbie in die Arme. Und während sie sich lachend an ihn klammerte, mußte sie daran denken, daß ausgerechnet Gaylord, dem sie nie so sehr zugetan gewesen war, Stan Grebbie genügend Mut gemacht hatte, um ihre Hand anzuhalten.

24
     
    Es war einer jener vollkommenen Spätsommertage, der Tag des Begräbnisses. Der Himmel war dunstig und wolkenlos, die Bäume regten sich nicht, die Luft hielt den Atem an. Man sah das Land durch einen feinen Schleier. Die Konturen waren sanft, alle Wolken waren fortgeschmolzen. Kein Tag, an dem man jemandem die Sonne für immer nehmen sollte. Aber es mußte sein.
    Der liebliche Tag ging in einen lieblichen Abend über. Irgendwo hinter den Hügeln bellte ein Hund. In der Ferne hörte man das Klappern der Milchkannen. Auf der anderen Seite des Tals stieß ein Zug weiße Dampfwölkchen aus. Auf dem Weg sang ein Kind vor sich hin. Die Kinderstimme klang süß und klar, unschuldig und glücklich. Paps, der sie hörte, überkam eine große Traurigkeit, aber er wußte nicht warum. Vielleicht, weil der sorglose Gesang des Kindes so bald enden mußte. Oder weil er in dem Lied das Echo seiner eigenen, verlorenen Unschuld hörte? Oder weil in diesem Haus ein alter Mann lebte, der nie mehr singen würde?
    Er fand seinen Vater im Arbeitszimmer. Er sagte: «Ein herrlicher Abend draußen. Ich dachte, du würdest vielleicht noch ein bißchen mit mir Spazierengehen, Vater.»
    Der alte Mann sah zu ihm auf. «Ja», sagte er und rappelte sich hoch. «Ja. Nett von dir, Jocelyn.»
    Sie gingen los, den Höhenrücken entlang, der das Flußtal säumte. Schweigend wie der stille Abend schritten sie dahin. Aber Jocelyn merkte, wie sein Vater alles in sich aufnahm; er schnupperte die milde Luft wie ein Tier, trat auf die süße Erde mit festen,
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