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Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung

Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung

Titel: Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung
Autoren: Eric Malpass
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die böse, geheime Stimme: «Der wäre was für Willie.»
    «Er bekommt ihn aber nicht», sagte Gaylord und zog einen Flunsch.
    «Aber Willie hat sonst kein Spielzeug», beharrte die Stimme. «Und du hast soviel. Und der arme Willie hat nicht alle Tassen im Schrank.»
    «Er bekommt ihn nicht», wiederholte Gaylord, aggressiver, aber schon weniger überzeugt.
    Die Stimme schwieg. Kurz ehe sie zu Hause ankamen, sagte sie plötzlich: «Denk mal, wie nett und großzügig Willie es finden würde, wenn du sie ihm schenktest.»
    Ein Erwachsener hat jahrelange Erfahrung, wie man mit einem aufdringlichen Gewissen fertig wird; er hat Hunderte von Argumenten zur Verfügung. Aber Gaylord besaß solche Erfahrung noch nicht. Er bohrte beide Hände in die Hosentaschen, lümmelte sich unglücklich auf dem Hintersitz und versprach, darüber nachzudenken.
    Aber der Gedanke an Willie hatte andere Gedanken verstärkt, die nicht einmal die frische Seeluft aus seinem Gedächtnis hatte vertreiben können. Wenn er jetzt nach Hause kam, würden Willies Brüder ihm noch immer auflauern. Er hatte Angst. Er wünschte sehnlichst, sie wären doch noch an der See geblieben. Dort war man sicher. Denn eines Tages, so sehr er sich auch in acht nähme, eines Tages würde er um eine Ecke biegen, und dann würden sie schweigend, die Hände in den Taschen, dastehen und ihn anstarren. Und dann würden Todesangst und Schmerz über ihn hereinbrechen.
     
    Sie traten aus dem warmen Sonnenschein in die dämmrig-kühle Halle. Aus der Helle des Lebens in den Schatten des Todes. Opa kam ihnen entgegen. «Hallo, May. Hallo, Jocelyn. Es tut mir sehr leid, daß ich euch zurückrufen mußte.» Seine Stimme war voll melancholischer Wärme.
    «Ist schon gut, Vater.» Jocelyn legte dem alten Mann den
    Arm um die Schulter. «Es tut uns leid, daß es so kommen mußte.» Er sah seinen Vater an. Ja, man konnte es kaum bemerken, aber er war ein wenig in sich zusammengesunken. Er wirkte geschwächt. Niemand kann sagen, wann für ihn die Stunde schlägt...
    Gaylord, der durch die Vorhalle lief, spürte, daß eine gewisse geschlossene Tür eine unwiderstehliche Anziehungskraft auf ihn ausübte. Langsam, ganz langsam schlich er sich näher. Legte die Hand auf den Türknauf.
    Es überraschte ihn fast, daß der Knauf sich drehen und die Tür sich wie jede gewöhnliche Tür öffnen ließ. Zögernd, auf Zehenspitzen und den Atem anhaltend, näherte er sich dem Bett.
    Dort lag in erhabener Majestät Großtante Marigold. Gaylord besah sie sich mit beträchtlichem Interesse. Sie war weniger und zugleich mehr als die lebendige Tante Marigold. Zerbrechlich, wächsern, gewichtig, streng. Er hatte grauenhafte Angst, daß sie sich plötzlich aufrichten und kichern könne. Dennoch streckte er seinen kleinen Finger aus und bohrte ihn vorsichtig in die kalte Wange. Als Gruß und Abschied. Die Augen unverwandt auf Tante Marigold gerichtet, ging er rückwärts zur Tür. Nicht für alle Reichtümer aus Aladins Wunderhöhle würde er dieser unheimlichen Gestalt den Rücken zukehren.
    Hinter ihm flüsterte eine Stimme: «Gaylord, hier hättest du nicht hineingehen sollen. Wenigstens nicht allein.» Schützend fühlte er Mummis Hände auf seinen Schultern. Mutter und Sohn standen dort, und May betrachtete voll Trauer und Rührung diesen Menschen, der durch sein Leben so gut auf die Einsamkeit des Todes vorbereitet gewesen war. Dann sah sie auf Gaylord nieder. Er erwiderte ihren Blick mit einem Ausdruck, den sie nicht deuten konnte -Ehrfurcht, Verwunderung, Angst? Schweigend verließen sie, Hand in Hand, das Zimmer.
     

22
     
    «Dir selbst wird es Freude machen, wenn du ihn Willie gibst», sagte die Stimme. «Er wäre bestimmt so dankbar, daß du dir wie der liebe Gott vorkämst.»
    Das war alles schön und gut. Aber die Drohung der jungen Foggertys lag wie Mehltau über dem ganzen herrlichen Land. Gaylord traute sich nicht allein aus dem Haus. Er fing an, die friedlichen Wege zu hassen und die lauernde Stille der Felder zu fürchten.
    Andererseits war das Haus voller Menschen, und keiner schien von ihm viel Notiz zu nehmen. Es gab ungezählte Gelegenheiten, sich unbemerkt davonzustehlen. Und sein Gewissen hatte dafür gesorgt, daß der Briefbeschwerer ihm nur noch Freude bereitete, wenn er ihn jetzt seinem Freund schenkte.
    Also ging er los und fand Willie, wie immer, in dem alten Steinbruch. «Warst du an der See?» fragte Willie.
    «Ja», sagte Gaylord. «Ich hab dir was mitgebracht.» Er gab
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