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Morgenrot

Morgenrot

Titel: Morgenrot
Autoren: Tanja Heitmann
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geschah in vollkommener Finsternis.
    Immer wieder streckte Lea die Hand aus, um Adam nicht zu verlieren. Sie konzentrierte sich so sehr auf den Klang seiner Atmung, der ihr zum Leitfaden geworden war, dass sie die lebensgefährliche Lage mehr und mehr verdrängte. Kein Gedanke hatte mehr Platz in ihrem Kopf neben den leichten Schallwellen, wenn Adams Brust sich hob und senkte.
    Sie weigerte sich, darüber nachzudenken, ob es Etienne Carriere jemals gelingen würde, sich aus dem Unterwasserkäfig zu befreien.Gelegentlich taten sich Löcher im Boden oder vielmehr in der Decke auf, aber sie verdrängte jede Überlegung, ob dort unten vielleicht noch jemand lauerte oder sich ebenfalls auf den Weg gemacht hatte. Auch für den Gedanken, wie sie überhaupt hinausgelangen sollten -denn nirgends war Raum zu fliehen. Sie wollte noch nicht einmal wissen, ob Adam sich wirklich in der absoluten Finsternis orientieren konnte.
    Rückblickend konnte Lea nicht sagen, wie lange sie sich robbend ihren Weg gebahnt hatten. Aber als Dämmerlicht in ihre Augen stach, waren zumindest zwei Fragen beantwortet: Adam war ein hervorragender Spurensucher. Und sie verließen den Zwischenraum dort, wo sie das Kabinett betreten hatten, nämlich an der Wegscheide der beiden Tunnel. Adam kletterte als Erster durch das eingebrochene Mauerwerk hindurch, dann half er Lea beim Abstieg.
    Den kleinen Schrei, als ihre Füße bis über die Knöchel im eiskalten Wasser versanken, konnte Lea nicht rechtzeitig unterdrücken. Mit einem Schlag machten sich ihre angeschlagenen Nerven wieder bemerkbar, und sie verspürte einen derart schmerzhaften Stich zwischen den Schulterblättern, dass sie fast ein weiteres Mal aufgeschrien hätte.
    »Ich kenne den Weg zur Garage nicht.« Noch während sie sprach, ärgerte sie sich über den jammernden Tonfall in ihrer Stimme. Was half es denn schon, jetzt in Selbstmitleid zu versinken? Der Weg war versperrt, und es ergab keinen Sinn, im Labyrinth der Gänge herumzulaufen und darauf zu warten, dass das Wasser sie verschlang.
    Zu ihrer Überraschung ging Adam nicht annähernd so hart mit ihr ins Gericht wie sie selbst. Schweigend schlang er die Arme um sie, und sie genoss seine tröstende Wärme. Nach einer Weile erklang seine Stimme dicht an ihrer Schläfe: »So, wie es aussieht, brauchen wir uns zumindest keine Gedanken um die Kreaturen zu machen, die dort in den Wunderkammern lauern: Jemand hat die Zugangstür von außen verbarrikadiert und das Display zerschlagen. Uns bleibt also nur noch der Senkschacht als Fluchtweg.«
    Lea löste sich ein Stück von Adam und schaute ihm prüfend ins Gesicht. Zu ihrer Erleichterung konnte sie keine Spur von Wut oder Rachegelüsten darin entdecken, nur Traurigkeit. Fast beiläufig stellte sie fest, dass er - trotz all der Anstrengungen der letzten Stunden wunderschön aussah. Nur ein paar Blessuren um die Augen herum und die aufgeplatzte Unterlippe verrieten noch die Auseinandersetzung mit Etienne Carriere.
    Die Absurdität, dass das Leben der Schönheit ihres Liebsten einfach keinen Schaden zufügen konnte, zauberte Lea ein befreiendes Lächeln ins Gesicht. Doch im nächsten Augenblick entdeckte sie noch etwas anderes: Die Kraftprobe, die er in der Zelle des Professorsausgestanden hatte, lag wie ein unsichtbarer Film auf seinem Gesicht. Die Ereignisse mochten seinem Äußeren nichts anhaben können, aber sie begriff, dass sie sich in Adams Kern einbrannten. Dieses Wissen reichte ihr.
    Sich an den Händen haltend, beschritten sie den dämmerigen Felsentunnel. Dabei stieg das Wasser bei jedem Schritt. Sie waren noch nicht weit gekommen, als ein erneutes dumpfes Beben das Erdreich erzittern ließ. Unvermittelt blieben sie stehen, da die spärliche Beleuchtung plötzlich ganz ausfiel. Ein Nachbeben setzte ein und ließ Gesteinsbrocken von der Decke regnen. Wie durch ein Wunder wurde keiner von ihnen ernstlich verletzt. Es gesellten sich lediglich einige frische Abschürfungen und blaue Flecke zu den anderen dazu. Bei Adam mehr, weil er sich im letzten Augenblick noch schützend über Lea gebeugt hatte.
    Als endlich die Notbeleuchtung ansprang, sagte er unnötigerweise: »Das ist gar nicht gut.« Denn sie hatte dasselbe gespürt: den Triumphschrei freigesetzter Macht. Was auch immer aus der Sammlung des Kollektors noch in der Lage war zu atmen, nun konnte es sich frei bewegen. Plötzlich wünschte sich Lea, dass die Eingangstür nicht nur verrammelt, sondern zusätzlich noch von einer
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