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Morgen ist ein neuer Tag

Morgen ist ein neuer Tag

Titel: Morgen ist ein neuer Tag
Autoren: Heinz G. Konsalik
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gestorben seien. Ein entlassener Unteroffizier brachte die Nachricht aus Rußland mit …«
    Fritz Bergschulte starrte Dr. Schrader an und setzte dann seine alte Mütze wieder auf den geschorenen Kopf. Ein solches Maß an Hilflosigkeit lag in dieser Bewegung, etwas so Trostloses und Einsames, daß es Dr. Schrader kalt über den Rücken lief.
    »Ein Kamerad sagte, ich wäre tot?« fragte Bergschulte leise. »Und Lina glaubte es?«
    »Sie mußte es ja. Wer konnte noch zweifeln – nach so vielen Jahren des Schweigens?«
    »Und jetzt bin ich tot?«
    »Vor dem Gesetz ja.«
    »Und ich kann nichts tun? Ich kann mein Haus, jetzt, da ich lebe, nicht wiederbekommen?«
    »Leider nein. Ihre Frau hat nach Ihrem Tod das Alleinerbe angetreten. Ein Testament dieses Inhaltes lag ja vor.«
    »Ja.«
    »Und sie handelte als Erbin frei nach ihrem Ermessen. Das ist rechtsverbindlich. Was Sie können, ist lediglich, Ihre Todeserklärung rückgängig zu machen und ein neues Leben anzufangen … als ein neuer Fritz Bergschulte.«
    Der lebende Tote wischte sich über die Augen und ging an Dr. Schrader vorbei zu seinem Sack, wuchtete ihn auf den Rücken und drehte sich dann langsam wieder um.
    »Ich danke Ihnen, Herr Dr. Schrader«, sagte er müde. »Ich habe nie gewußt, was ein Mensch fühlt, der stirbt … jetzt weiß ich es …«
    Er setzte sich in Bewegung und ging mit müden, kleinen Schritten um das Haus herum durch den Vorgarten auf die Straße hinaus. Sorgsam, als sei sie noch sein Eigentum, zog er die kleine Lattentür ins Schloß.
    Dr. Schrader sah ihm nach, bis er an der Ecke der Straße seinem Blick entschwand. Ihn fröstelte plötzlich in seinem eleganten Seidenmantel und den Chevreau-Pantoffeln. Mit gesenktem Kopf ging er zurück in das Haus und setzte sich hinter seinen breiten Schreibtisch.
    »Ein Schicksal mehr«, sagte er leise zu sich selbst und schob die Aktenstücke der an diesem Tage zum Termin anstehenden Prozesse zur Seite. »Er wird einen starken Willen haben müssen, um an dem nicht zu zerbrechen, was ihn noch erwartet …«
    Franz und Emma Stahl, die Eltern von Lina Bergschulte, wohnten in einer der Häuserblock-Kolonien, die Baugenossenschaften am Rande Mindens errichtet hatten und kinderreichen Familien oder den Arbeitern der umliegenden Werke zugesprochen waren. Es waren kleine, gemütliche Wohnungen von zwei oder drei Zimmern, mit einem schmalen Streifen Garten hinter dem Haus und einer großen Gemeinschaftswaschküche.
    Franz Stahl, dem sein Schusterberuf in den langen Jahren den Rücken etwas krumm gezogen hatte, saß gerade am Kaffeetisch und ließ sich von seiner dicklichen Frau Emma ein knackfrisches Brötchen mit Honig schmieren, als es draußen an der Flurtür schellte. Unwillig ließ er die Morgenzeitung sinken und blickte auf die Uhr.
    »Wenn es einer von diesen Vertretern ist – wir brauchen nichts, Emma«, sagte er so laut, daß es auf der Treppe zu hören war, denn Emma Stahl machte zugleich die Tür zum Korridor auf und trat aus dem Zimmer. Dann hörte er das Herumdrehen des Schlüssels, hörte, wie die Tür geöffnet wurde, und zuckte zusammen, als ein unterdrückter Schrei durch die Wohnung schallte.
    Er sprang auf, lief hinaus und prallte fast mit Emma zusammen, die ihm leichenblaß durch die Diele entgegenwankte, gefolgt von einem kahlgeschorenen, zerlumpten Mann mit einem Gesicht wie von einem Totenschädel.
    »Fritz!« Franz Stahl fuhr sich mit beiden Händen an den Kopf und stand da wie vom Blitz getroffen. »Fritz … du lebst …?«
    »Leider.« Der Heimkehrer blieb in der Diele stehen und setzte den Sack auf den Kokosläufer des Flures. »Was ist mit Lina?« fragte seine tonlose Stimme. Seine Augen brannten in den tiefen Höhlen. Wie ein hungriges, gehetztes Tier sah er aus.
    Franz Stahl ergriff ihn am Ärmel und schob ihn vor sich her in die Küche. »Komm erst einmal 'rein«, sagte er dabei. »Hast du Hunger? Mutter, mach ihm einen Berg Brote.«
    »Nein, danke. Laß. – Ich war zu Hause …« Er lachte bitter. »Mein Zuhause hat Lina verkauft …«
    »Du warst tot.« Franz Stahl setzte sich an den Tisch und schob seinen Teller mit dem Honigbrötchen von sich weg. Fritz Bergschulte stand mitten im Raum, fremd, wie hinter Glas, ausgelöscht … tot …
    »Was sollte Lina tun?« fragte der Alte weiter. »Die Unterstützung war minimal. Arbeit? Sie hatte ein kleines Kind. Außerdem ist sie krank geworden, sehr krank, als sie erfuhr, daß du im Ural gestorben bist. Sie konnte nicht mehr
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