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Morgen ist ein neuer Tag

Morgen ist ein neuer Tag

Titel: Morgen ist ein neuer Tag
Autoren: Heinz G. Konsalik
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in einen Waggon, suchte ein Abteil und drückte sich in eine Ecke.
    Morgen früh bin ich in Minden, dachte er, und es durchrieselte ihn heiß, wenn er sich Linas rote Lippen vergegenwärtigte und ihre weichen, weißen Arme, die sie immer um seinen Hals geschlungen hatte, wenn er sie geküßt hatte.
    Küssen! Eine Frau küssen! Zwölf lange Jahre war dies der Traum in den Erdhütten von Sibirien, in den Baracken von Ufa, in den Eishöhlen bei Archangelsk gewesen. Die Wärme eines weiblichen Körpers an sich spüren, das Drängen eines jungen Leibes … Fritz Bergschulte schloß die Augen, weil das Licht über ihm ihn blendete und er das Dunkel vorzog, wenn er an Lina und ihre Liebe dachte …
    Ratternd durchbrauste der Zug wie eine glühende Schlange die nächtliche Landschaft. Über die Weichen und Ansatzstücke rumpelten die Wagen und unterbrachen immer wieder den Schlaf der Reisenden. Fritz Bergschulte fröstelte es und er legte den Sack auf seine Knie. Dann sank ihm der Kopf nach vorn, und auch er schlief ein.
    Eine grelle Morgensonne spiegelte sich in den Scheiben der Abteilfenster und weckte Fritz Bergschulte. Der Zug durcheilte die Ebene entlang des Mittellandkanals und befand sich zwischen Stadthagen und Bückeburg auf der Höhe von Kirchhorsten. Es dauerte eine Zeit, bis sich Bergschulte besann, wo er sich befand; bis er sich erinnerte, wie er schlaftrunken in Hannover umgestiegen und sofort wieder auf dem Sitz eingeschlafen war. Nun kam ihm die Gegend bekannt und vertraut vor. Obernkirchen … Mein Gott, der Zug war ja gleich in Minden …
    Er stand auf und strich sich mit der Hand über den Kopf. Erschreckt hielt er inne. Der Schädel war ja kahl – stoppelig fühlte er sich an, hart, voller Stacheln, wie der eines Igels. Er setzte wieder seine Mütze auf und blickte aus dem Fenster, hinaus auf die draußen vorbeifliegende Landschaft.
    Mittellandkanal … Weser … Die Hügel, wo er als Kind immer gewesen war und Steine in das Wasser geschleudert hatte. Und dort, – er beugte sich vor – dort war der kleine Weserknick, wo er immer mit seiner selbstgebastelten Angel gefischt hatte. Die dicksten Barsche gab es da, und er hatte dieses Geheimnis gehütet vor allen Freunden, die ihn immer um seine guten Fänge beneidet hatten. »Das kommt von den Fliegen«, hatte er ihnen vorgelogen. »Ich fange die dicksten Brummer und hänge sie an den Haken.« Und von da ab war kein Brummer mehr sicher gewesen und alle hatten sich in die Kuhställe der Bauern geschlichen, wo es ganz besonders dicke Exemplare gab …
    Fritz Bergschulte lächelte. Die Jugendzeit. Und jetzt ist mein Peter genau so alt und heckt neue Streiche aus, dachte er glücklich. Was werden sie sagen, wenn ich vor der Tür stehe und sage: »Hier bin ich!« Der Peter kennt mich ja nicht einmal … Auf den Hängen, im Morgendunst und aufsteigenden Taunebel, tauchte die herrliche Porta Westfalica auf. Dunkel hob sich der Sandsteinsockel mit der hohen, halbrunden, offenen Halle und dem Denkmal Kaiser Wilhelms I. gegen den lichtblauen Himmel des Morgens ab. Dann verschwand das schöne Bild wieder hinter einer Biegung, und die ersten Häuser und Laubenkolonien der Stadt Minden wurden sichtbar.
    Eine fiebernde Erregung erfaßte Fritz Bergschulte. Er stand am Fenster und trommelte an die Scheibe. Tramm-trammtramm-tramm-trammtramm – klang es laut. Das Herz zuckte in der Brust, der Atem ging beklommen.
    Minden Hauptbahnhof … ein Schild huschte vorbei, das erste Blockhaus … das Weichenhaus, das Stellwerk … die Halle tauchte im Morgendunst auf … Die grauen, langen Bahnsteige waren an diesem frühen Morgen noch leer. Nur vereinzelte Menschen, die beruflich so früh mit der Eisenbahn fahren mußten, standen schläfrig herum und schauten dem einfahrenden Zug entgegen.
    Mit einem leichten Ruck hielt dieser. »Minden!« tönte es aus dem Lautsprecher. »Minden! Nach Uchte umsteigen! Nächster Anschluß …« Der Lautsprecher gab dröhnend die Anschlußzüge bekannt, ein Mitropawagen lief auf Gummirädern den Zug entlang und bot starken Bohnenkaffee an.
    Wie benommen stand Fritz Bergschulte am Fenster. Er vergaß, auszusteigen … eine unerklärliche, würgende Angst hielt ihn ab, die Türe zu öffnen und auf den Bahnsteig hinunterzuspringen. Jetzt, da er zu Hause war, da er Lina und Peter in einer halben Stunde sehen konnte, jetzt brach Fritz Bergschulte innerlich zusammen. Was Sibirien nicht vermocht hatte, das vollendete die Rückkehr in die Heimat – der
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