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Morgen ist ein neuer Tag

Morgen ist ein neuer Tag

Titel: Morgen ist ein neuer Tag
Autoren: Heinz G. Konsalik
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arbeiten. Da blieb nur das Haus …«
    »Und jetzt ist sie in Vlotho?«
    Die beiden Alten blickten sich kurz an. Dann nickte Franz Stahl. »Ja. Sie hat jetzt eine nette Wohnung.«
    »Und was tut sie?« Fritz Bergschulte fühlte, daß man ihm etwas verschwieg, daß da noch etwas war, was alles Bisherige übertraf. Er fühlte ein Grauen über sich kommen, aber mit zusammengebissenen Zähnen wollte er es ertragen, ohne umzusinken. Zwölf Jahre Rußland, dachte er hart. Sibirien, Ural, Bleibergwerk, Uranabbau, Kolchosen, den Stiefel im Nacken und die Bestie Mensch täglich um dich. Was kann es in Deutschland Schlimmeres geben, was kann da einen noch erschüttern, wenn Sibirien einen nicht in die Knie zwang?
    Franz Stahl schaute zu Boden und wagte nicht, den Blick zu erheben. Emma stand am Herd und brachte es nicht fertig, sich umzudrehen. Angestrengt rührte sie in einer Milchsuppe.
    »Lina sorgt gut für deinen Jungen, den Peter«, sagte Franz Stahl leise. »Sie ist eine gute Mutter. Sie hat jetzt auch einen guten Mann …«
    Fritz Bergschulte schüttelte den Kopf, als habe er nicht verstanden, was sein Schwiegervater sagte.
    »Was hat sie?« fragte er tonlos.
    »Einen guten Mann, Fritz. Du mußt bedenken, du warst offiziell tot. Lina wußte es von einem Kameraden, in dessen Armen du angeblich gestorben warst. Und dann kam die Not, die Währungsreform, alles krachte zusammen, die Ersparnisse, das Haus kostete unheimliches Geld, der Junge wollte auf die höhere Schule. Da hat sie das Haus verkauft und wenig später wieder geheiratet.«
    »Geheiratet? Lina hat … geheiratet?« Fritz Bergschulte taumelte gegen die Wand und hielt sich am Küchenschrank fest. »Ich habe also richtig gehört …«
    »Sie war doch Witwe«, sagte Franz Stahl leise. »Sie hatte eine amtliche Todeserklärung in Händen. Und der Junge brauchte einen Vater, sie selbst ein Heim, in dem sie sich geborgen fühlte. Es ging ja um die Zukunft, nicht um die Vergangenheit. Und du warst, wie gesagt, tot.«
    »Aber ich lebe doch!« schrie Fritz Bergschulte. »Hier stehe ich! Fühlt mich doch an, hört mich doch sprechen! Ich bin es! Ich will meine Frau wiederhaben, ich will mein Kind haben, mein Haus, mein Geld, mein Glück, mein Leben! Zwölf Jahre habe ich davon geträumt, zwölf Jahre habe ich im Schlamm des Urals gestanden, habe am Eismeer Gräben gezogen, bis mir die Hände abfroren, habe im Bergwerk ohne Schutz das Blei geborgen und wurde geschlagen, getreten, und mit Hunger mürbe gemacht. Aber wenn ich dann auf meinem Bett lag, unter der dünnen, zerschlissenen Decke, bei 30 Grad Kälte, wenn ich vor Frost zitterte und mich in den Schlaf fror, dann sah ich Lina vor mir, das Haus, den Peter. Und ich habe die Zähne zusammengebissen und mir gesagt: Durchhalten, Mensch, durchhalten! In der Heimat warten sie auf dich!«
    »Du hast nie geschrieben.« Franz Stahl schluckte, seine Stimme war heiser. »Jetzt ist mir klar, daß es Schweigelager gab und du nicht schreiben konntest. Aber damals, als der Unteroffizier kam und Lina sagte, du seist tot, da mußten wir es doch glauben.«
    Fritz Bergschulte nickte. Sie hat es geglaubt, hämmerte es durch seinen Kopf. Sie hat an meinen Tod geglaubt und einen anderen Mann geheiratet. Oh, warum bin ich nicht in Rußland geblieben, warum bin ich nicht wirklich tot? Denn das hier, das ist ja noch viel furchtbarer als der Tod … leben und doch für die Welt tot sein …
    »Wer … wer ist der neue … Mann Linas?« fragte er unter der größten Anstrengung. Die Worte tropften aus seinem Mund, als seien sie bitterste Galle.
    Franz Stahl blickte zu seiner Frau Emma, die stumm am Herd stand und leise vor sich hinweinte.
    »Es ist der Unteroffizier, der die Todesnachricht brachte. Er hat sich von dem Tage an rührend um Lina gekümmert.«
    »Und wie … wie heißt er?«
    »Heinrich Korngold.«
    »Nein!« Mit einem grellen Schrei stürzte Fritz Bergschulte auf den Alten zu, erfaßte ihn an den Rockaufschlägen, zog daran und stierte ihn an. Seine Augen traten aus den Höhlen.
    »Sag, daß das nicht wahr ist, Vater! Sag, daß er anders heißt! Du! Du! Rede doch! Sprich doch! Er heißt nicht Korngold! Nicht wahr? Ich habe dich falsch verstanden! Er heißt anders, so ähnlich … aber nicht Heinrich Korngold aus Essen …«
    Franz Stahl sank auf den Stuhl zurück, als ihn Fritz Bergschulte wieder losließ, und begann zu zittern.
    »Heinrich Korngold aus Essen …«, stammelte er. »Schlag mich tot, Fritz … er ist es
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