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Morgen des Zorns

Morgen des Zorns

Titel: Morgen des Zorns
Autoren: J Douaihy
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Stück zuschnitt, ein dünnes grau gestreiftes englisches Tuch, mit dem sich die Jugend brüstete. Zusätzlich zum Rauchen von Lucky Strike, deren dünne Pappschachtel in der Tasche des durchscheinenden Hemdes erkennbar war. Es war das Jahr, in dem Gamâl Abdel Nasser den Suezkanal – die »Internationale Suezkanal-Gesellschaft«, wie er ihn in seiner Rede bezeichnet hatte – verstaatlichte.
    Farîd Badawi al-Samaani.
    24 Jahre.
    Registriert unter der Nummer 124/65.
    Ledig.
    Name der Mutter: Sausân Wardeh.
    Beruf: Keiner.
    Augen: Honigfarben.
    Schnurrbart: Dünn.
    Haare: Schwarz, gelockt.
    Besondere Kennzeichen: Ein Muttermal auf der linken Wange.
    Die Wahlen standen vor der Tür. Zwei Sitze für den Distrikt und vier Kandidaten, aus vier Familien. Die Konkurrenz war hart, Farîd würde seine Verwandten nicht im Stich lassen, wenn sie ihn brauchten. Von Zeit zu Zeit nannten sie ihn »Abu Ali«, ein Spitzname für echte Kerle, sie konnten sich auf ihn verlassen. Wenn er an den Häusern mit den zur Straße hin geöffneten Wohnungstüren vorbeilief, verschlangen ihn die Frauen mit ihren Blicken. Er würde die Frauen nicht enttäuschen. Alle hatten sie mittlerweile von seinen Heldentaten gehört, sie erzählten sie sich gegenseitig, und er hatte viele davon auf Lager. Er handelte, aber er redete nicht darüber. Ohne Vorwarnung, ohne Aufforderung schritt er zur Tat.
    Er hatte gehört, dass der Bürgermeister des Dorfes Ober-Almât seinen Parteigängern Schreckliches angedroht hatte, wenn sie für die Familie Samaani votieren sollten. Er stand auf deren Seite, als sei er einer von ihnen, dieser Bürgermeister von Ober-Almât. Farîd kannte ihn gut, den Bürgermeister. Er hatte ihn abends zu Hause besucht. Allein. Er hatte einen seiner Freunde gebeten, ihn mit seinem Auto zum Dorfeingang zu bringen und dann wieder kehrtzumachen. Der Bürgermeister bekam es mit der Angst zu tun, sobald er ihn in der Tür stehen sah; der Bürgermeister war im Alter seines Vaters, wenn sein Vater denn noch am Leben wäre. Die Frau und die Tochter des Bürgermeisters weinten, sie flehten ihn an, ihm zu vergeben.
    – Rasier dir deinen Schnurrbart auf einer Seite ab! Jetzt, auf der Stelle!
    Das war alles, was Farîd gesagt hatte. Der Mann brach fast in Tränen aus, so erniedrigt fühlte er sich. Der Schnurrbart des Bürgermeisters war berühmt. Seit sein Bart zu sprießen begonnen hatte, war er niemals ohne gesehen worden. Aber seine Frau machte ihm Mut, und so gehorchte er.
    Als Meister Bûlos von dem Vorfall erfuhr, gab er Farîd den guten Rat, mit solchen Provokationen aufzuhören. Er nahm ihm das Stück Stoff aus den Händen, um ihn zum Zuhören zu zwingen.
    – Ihr seid eine anständige Familie, Farîd …
    Wahrscheinlich meinte er seinen Vater. Seinen Vater und seine Onkel. Männer, die viel geleistet hatten. Ihr ganzes Leben lang waren sie vor dem ersten Tageslicht aufgestanden und hatten sich noch vor Anbruch der Dunkelheit zur Ruhe begeben. Sie hatten Maultiere geführt. Maultiertreiber, die täglich auf den Straßen unterwegs gewesen waren. Bis sein Vater das Maultier verkauft und mit Stein zu arbeiten begonnen hatte. Auch eine anständige Arbeit, und auch ein anstrengender Beruf. Sein Werkzeug befand sich noch immer zu Hause, der Meißel, der Vorschlaghammer und der Fäustel. Das Meisterstück seines Vaters stand hinter der Tür, ein Mörser aus rotem Porphyr.
    – …
    – Dieser Weg führt zu nichts, Farîd …
    Das gleiche männliche Schweigen.
    Farîd saß allein im Zimmer seines Hauses, das nirgendwohin blickte. Nachmittags hockte er der kahlen weißen Wand gegenüber, an der nur ein alter Kalender hing. Seine Mutter hatte ihn allein gelassen und die Nachbarn besucht. Eine Stunde oder zwei blieb er dort sitzen.
    Ebenso im Kaffeehaus, dort saß er in Habtachtstellung, hatte mit einem Blick den Bambusstuhl ausgewählt, einen, der stabil war und sauber. Trotzdem wischte er ein wenig Staub davon ab. Man kannte ihn mittlerweile, man wusste, wie er da saß, den Stuhl so gedreht, dass er sich mit dem Ellbogen auf die Rückenlehne stützen konnte. Den Körper aufrecht, den Rücken frei und mit der Gebetskette aus Amber spielend, schien er sein Schweigen zu genießen.
    Das gescheitelte Haar glänzte dank der »Brylcreme«; aufrecht in sich selbst verloren, das war Farîd.
    Die ersten Fotos der Kandidaten wurden auf die Scheiben der Autos und an Hüte geklebt. Einige Eiferer fertigten einen vergoldeten Holzrahmen dafür an und hängten
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