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Morgaine 1 - Das Tor von Ivrel

Morgaine 1 - Das Tor von Ivrel

Titel: Morgaine 1 - Das Tor von Ivrel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.J. Cherryh
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obwohl sich ringsum eine eiskristallhafte Helligkeit ausbreitete, die die Sinne blendete – alle Sünden der Häßlichkeit von einem blauen Himmel verhüllt; doch schon war dieser Schleier beschmutzt, der vierbeinige Tod war bei ihnen. Vor normalen Wölfen hatten sie keine Angst – die gingen nur in den schlimmsten Wintern gegen Menschen vor. Aber Koris-Ungeheuer waren etwas anderes. Sie töteten Menschen. Sie töteten, ohne fressen zu wollen – eine Perversion der Natur.
    Morgaine betrachtete die Spuren ebenfalls und schien ungerührt zu sein; vielleicht, so überlegte er, hatte sie zu ihrer Zeit so etwas nie gesehen, damals, ehe Thiye es lernte, die wahre Natur willkürlich zu verzerren. Vielleicht war der Zauber stärker geworden, als es ihrer Erinnerung entsprach, womöglich kannte sie die Gefahren gar nicht, denen sie sich näherten.
    Vielleicht lag es auch daran – und dieser Gedanke war noch schlimmer –, daß ihm selbst nicht klar war, womit er hier ritt, Knie an Knie, friedlich an diesem hellen Morgen. Er fürchtete sie wegen ihres Rufes: das war natürlich. Und doch ängstigte ihn ihre Gegenwart vielleicht nicht genug. Sie konnte ohne Berührung und ohne Wunde töten: er kam über den starren Blick der gebrochenen Augen des Rehbocks nicht hinweg, der eigentlich gar nicht hätte tot sein dürfen.
    Ein abgeknabberter Knochen lag vor ihnen auf dem Pfad. Sein Pferd scheute davor zurück. Sie ritten in das Tal der Steine zurück, überquerten den zugefrorenen Bach, wobei das noch dünne Eis knirschend brach, und ritten den gewundenen Pfad neben den großen grauen Felsbrocken empor, im Schatten des Hügels, der Morgaines Grab genannt wurde. Trotz des Schnees schimmerte der Himmel zwischen den beiden behauenen Säulen und sah aus wie Luft über erhitztem Gestein.
    Im Reiten blickte Morgaine hinauf. Auf ihrem Gesicht stand ein seltsamer Widerwille. Er begann zu begreifen, daß es durchaus nicht Morgaines Absicht entsprochen hatte, vor Helns Männern in ein solches Ding zu reiten.
    »Wer hat dich befreit?« fragte er plötzlich.
    Sie blickte ihn verwirrt an.
    »Du sagtest, jemand mußte dich aus jenem Ort befreien. Was ist das für ein Ort? Wie wurdest du dort festgehalten? Wer befreite dich?«
    »Das Ding ist ein Tor«, sagte sie, und in seinem Gehirn entstand das alptraumhafte Bild eines weißen Reiters vor der Sonne: es war schwer, eine solche Verrücktheit klar im Gedächtnis zu behalten; Erinnerungen dieser Art verblaßten oft wie Träume, damit der Verstand keinen Schaden nahm.
    »Wenn es ein Tor ist«, fuhr er fort, »woher bist du dann gekommen?«
    »Ich war
dazwischen,
bis etwas das Feld störte. So funktionieren Tore, die nicht eingestellt sind. Sie sind wie eine Zeitpfütze, sehr flach. Ich wurde an dieser Küste wieder an Land geschwemmt.«
    Er blickte zu der Erscheinung hoch, verstand sie nicht – und doch war diese Erklärung für das Erlebte so gut wie jede andere.
    »Wer hat dich befreit?« fragte er.
    »Ich weiß es nicht«, antwortete sie. »Ich ritt hinein, verfolgt von Männern; ein Schatten huschte vorbei; ich ritt wieder hinaus. Es war, als hätte ich kurz die Augen geschlossen. Nein – das auch nicht. Es war einfach
dazwischen.
Nur war es dicker als jedes Dazwischen, das ich je durchritten habe. Ich glaube, Ihr wart – Ihr sagt wohl
du
zu deinesgleichen –
du
warst derjenige, der mich befreit hat. Aber ich weiß nicht, wie, und möchte bezweifeln, daß du es weißt.«
    »Unmöglich«, sagte er. »Ich bin gar nicht in die Nähe der Steine gekommen.«
    »Auf diese Erinnerung würde ich mich aber nicht unbedingt verlassen«, sagte sie.
    Dann wandte sie den Kopf; er ritt hinter ihr, denn der Weg am Fuße des Hügels war schmal. Sein Blick ruhte auf dem hin und her zuckenden weißen Schwanz des Grauen und auf Morgaines weißbemänteltem, herausforderndem Rücken; und die Gegenwart des Gebildes, das sie Tor nannte, warf einen dunklen Schatten über all seine Gedanken. Er hatte Muße, seinen Eid an diesem von bösen Omen behafteten Ort zu wiederholen, und erkannte, daß er in dem Jahr mit Morgaine zwangsweise viele Dinge sehen und hören würde, die ein ehrlicher und früher einmal religiöser Mann nicht als angenehm empfinden konnte.
    Als er sie auf der alten gepflasterten Straße zwischen den kleineren Monolithen so vor sich reiten sah, hatte er plötzlich eine bedrückende Vision: daß hier noch ein anderer Anachronismus bestand, wie ein Mann, der das Kinderzimmer seiner Jugend besucht,

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