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Morenga

Morenga

Titel: Morenga
Autoren: Uwe Timm
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Märchen, ein Professor habe wochenlang die Überreste gesucht, da antwortete Rolfs, Gottschalk solle sich das von einer Kuh erzählen lassen, die den Bondelzwarts gehöre und die man bislang allen Verfolgungen zum Trotz habe retten können, eine Kuh aus dem Stamm Vielfleck. Gottschalk hatte schon sehr viel von dem guten Jamaikarum getrunken und von dem Kupferberg-Sekt, dachte, der Spaß könne nichts schaden und ging mit Rolfs zu den Rindern und dort zu einer fahlfarbenen Kuh mit langen sanften Wimpern. Aber was Gottschalk vernahm, war nur ein Mampfen, Rülpsen und gelegentliches Muhen. Gottschalk sagte, die Kuh käue wieder, aber verstehen könne er leider nichts. Da wollte sich der besoffene Rolfs ausschütten vor Lachen: Du willst ein Arzt der Rinder sein, aber kannst sie nicht einmal verstehen. Die Reste des Fasses lägen auf einem kleinen Hügel, zwanzig Schritte südlich von einem Doppelstein, von dem aus man in östlicher Richtung ein Joch in einer Hochebene sehen könne.

    In der Nacht zum Donnerstag, dem 29. Juli, ging eine Patrouille von Keetmannshoop nach Geiaub, der Gottschalk sich anschloß. Die Kamelstute ging im Paß wesentlich ruhiger als die Lastkamele, die Gottschalk bisher geritten hatte. Das Schaukeln und Stampfen des Tiers war wie eine gleichmäßig ruhige Dünung. Als Gottschalk dann aber das Tier in den Trab brachte, war es, als höbe es vom Boden ab, es begann, was Dermigny als den Kamelflug bezeichnet hatte. Die Patrouille versuchte zunächst, auf ihren Pferden in scharfem Galopp mitzuhalten, fiel dann aber schnell zurück. Das Keuchen und Getrappel der Pferde wurde hinter Gottschalk leiser, und als er sich nach einer Weile umdrehte, waren sie in der Dunkelheit verschwunden. Gottschalk ritt auf seinem Rennkamel durch die nächtliche Landschaft, über sich die Sterne, sehr nahe, der Rogen der Nacht, und dann begann er zu summen, dann zu singen, er war wie beschwipst, und all seine Angst fiel von ihm ab. Zwischendurch lachte er laut und rezitierte mit eingestreuten Klicklauten: So komm! Daß wir ein Eigenes suchen, so weit es auch ist.
    Vom Schreien und Singen erschöpft, wurde Gottschalk ruhig, und er wäre später ein paarmal beinahe eingeschlafen und vom Kamel gefallen, das ohne Anzeichen von Erschöpfung weiterrannte. Plötzlich lichtete es sich im Osten, die Sonne brach aus der Erde hervor. Wenig später, noch in der Kühle des Morgens, entdeckte er die Abbruchkante im Plateau, in dem sich in östlicher Richtung ein Einschnitt befand, eine Art Trogtal, das Joch. Gottschalk ritt einige Schleifen, bis er den Doppelstein fand, rundgeschliffene mannshohe Steine, paarlich und an einer Stelle siamesisch verwachsen. Er brachte das Kamel zum Stehen, das sogleich von einem der Dornbüsche zu fressen begann. Gottschalk ging einige Schritte in südlicher Richtung und kratzte mit dem Stiefelabsatz im Sand. Er war nicht weiter überrascht, als er darunter schwarzbraungefärbte Erde fand und dazwischen Holzstücke, verrostete Haken, ein Stück der Eisenfelge, an einem Ende bizarr angeschmolzen, ein, zwei Schrauben.
    Gottschalk hob ein Holzstückchen auf, verkohlt, die Maserung noch erkennbar, geschliffen vom Sand, ein winziges Teil jener Steineichen, die vor fast fünfzig Jahren aus Frankreich in dieses Land gebracht worden waren, um die schlafenden Verhältnisse zum Tanzen zu bringen.

Die Verfolgung

    Die politische Situation im Jahr 1907 wurde vom Generalstab und dem Kolonialamt als kritisch und labil eingeschätzt. Insbesondere darum, weil, wie es in dem Generalstabs-Werk heißt, »in den 16000 Gefangenen der Freiheitsdrang noch nicht erloschen ist«. Zu dieser Einsicht gehörte auch das Wissen auf deutscher Seite, daß man die Abmachung bei der Unterwerfung der Aufständischen nicht eingehalten hatte und die Gefangenen auf der Haifischinsel umkommen ließ. Der größte Unsicherheitsfaktor aber war Morenga. Die Internierung des »schwarzen Napoleon« in der Kapkolonie hatte seinem Nimbus nicht geschadet. Im Gegenteil, viele Afrikaner, nicht nur im Deutschen Schutzgebiet, sahen in ihm den Befreier und Kämpfer gegen die Unterdrückung der Weißen. Das mußte ihn langsam auch in Gegensatz zur englischen Regierung bringen, die ihm zunächst großzügig politisches Asyl gewährt hatte.
    Das Kolonialamt in Berlin und der Kommandeur der Schutztruppe v. Deimling korrespondierten mit dem kaiserlichen Generalgouverneur in Kapstadt, v. Humboldt, ob man Morengas Auslieferung bei der englischen Regierung
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