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Morenga

Morenga

Titel: Morenga
Autoren: Uwe Timm
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gewinnen, was er den Aufstand des Gewissens nannte. Jetzt hatte er einen verstockten Veterinär getroffen, der von radikalen Mitteln im Kampf gegen das Unrecht redete, aber nur noch herumsaß, seinem Pfeifenrauch nachsah und vom Tanz der Hottentotten schwärmte.

    Gottschalk verbrachte seine Tage weiterhin damit, die Wolkenformationen zu beobachten (bei reinblauem Himmel langweilte er sich zum Gotterbarmen) und auf Beantwortung seines Abschiedsgesuchs zu warten.
    Manchmal hatte er den Verdacht, sein Gesuch könnte in irgendeiner Schreibstube ungeöffnet hängengeblieben sein. Dann mußte er sich aber wieder sagen, daß alles beschriebene Papier, was in Schreibstuben und Kanzleien einging, sogleich erfaßt und registriert wurde, um dann seinen staubigen Weg der Bearbeitung zu gehen. Möglicherweise studierte gerade in diesem Augenblick ein Intendanturrat in Berlin dieses Gesuch. Tatsächlich lag es aber noch in Warmbad, und zwar in der Schreibtischschublade des Majors Treager.
    Treager, der Gottschalk noch aus Keetmannshoop kannte und für einen Idealisten und Kamelnarren hielt, vermutete hinter diesem Abschiedsgesuch ein überempfindliches preußisches Ehrgefühl, das auf die bloße Verdächtigung hin, mit dem Feind paktiert zu haben, äußerst sensibel reagiert hatte. So war der Stabsveterinär um seinen Abschied eingekommen, nicht etwa weil er schmollte, sondern allem darum, um diesen häßlichen Verdacht zu tilgen.
    Da Treager für November 1906 anläßlich der Friedensverhandlungen einen Inspektionsritt entlang der Ostgrenze des Schutzgebietes plante, nahm er sich deshalb vor, bei dieser Gelegenheit den Stabsveterinär in Ukamas aufzusuchen, um ihn dann zu überreden, das Gesuch zurückzuziehen. Auf dem Ritt nahm er eigens den Brief Gottschalks mit. Er wollte ihn für den Fall – und davon war Treager überzeugt –, daß Gottschalk das Gesuch zurückzog, einfach zerreißen. Damit wäre die Angelegenheit vergessen gewesen.

    Als Major Treager Mitte November mit seiner Begleitmannschaft Ukamas erreichte und in die Station einritt, die Besatzung Front und Leutnant Gerlich Meldung machte, dachte er, was lümmeln sich jetzt schon die Hottentotten auf unseren Stationsveranden im Sessel. Der Mann, der da in einem ausgefransten Korbsessel saß, in speckigen Hosen, die nackten Füße auf einem Hocker, einen blauen Damenhut auf dem Kopf, in der Hand eine Pfeife, stand nicht einmal auf, als Major Treager sein Pferd vor ihm durchparierte. Erst als der Sitzende wie ein Zivilist den Hut grüßend vom Kopf zog, erkannte Treager in ihm den Stabsveterinär Gottschalk. Treager, dem Sinn für Humor nachgesagt wurde, lupfte daraufhin ebenfalls die Mütze.
    Später, nach den gegrillten Koteletts – die Sau hatte zum Kummer ihres Fängers und Herrn, des Sergeanten, ihr Leben für den hohen Besuch lassen müssen – fragte Major Treager, ob dieses ominöse Entlassungsgesuch nicht doch etwas sehr übereilt gewesen sei. Und als Gottschalk beharrlich schwieg, sich dabei ganz ungeniert mit dem Fingernagel die Fasern der alten Sau aus den Zähnen pulte, gab Treager sich kameradschaftlich jovial: Zum Donnerwetter, welchen Grund haben Sie dann?
    Da nahm Gottschalk den Finger aus dem Mund und sagte: Er wolle sich nicht länger beim Abschlachten unschuldiger Menschen beteiligen.
    Leutnant Gerlich konnte diese Geschichte später immer wieder erzählen: Wie da ein Roßarzt, dieser Stabsveterinär, der inzwischen sogar äußerlich und geruchsmäßig einem Hottentotten zu ähneln begann, diesen Satz abließ vom Abschlachten unschuldiger Menschen, worauf der Major, da der Stabsveterinär den Tisch nicht verlassen wollte, aufstehen und aus dem Raum gehen mußte.
    Noch am selben Tag, als Major Treager von seinem Inspektionsritt nach Warmbad zurückkehrte, leitete er das Gesuch Gottschalks weiter, mit dem Vermerk, ihm möglichst schnell stattzugeben.
    Ende Mai 1907 erhielt Gottschalk in Ukamas an einem wolkenlos langweiligen Tag die Nachricht, seinem Gesuch sei gnädigst stattgegeben worden. Entsprechende Pensionsansprüche würden geprüft. Zum Tragen seiner Uniform nach dem Ausscheiden aus dem Dienst sei er nicht berechtigt. Zugleich erhielt er einen Marschbefehl nach Lüderitz, wo er sich einzuschiffen habe.
    Am 10. Juni, dem Tag seiner Abreise, machte Gottschalk die letzte meteorologische Eintragung: Strahlig-blauer Himmel. Im Nordwesten vom Horizont her: Straußenfedern, grauweihe, feminin, regelmäßig, frommuli.

    Gottschalk hatte den Befehl,
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