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Mordsmöwen

Mordsmöwen

Titel: Mordsmöwen
Autoren: Sine Beerwald
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Austernfischer mit ihren langen roten Schnäbeln her, als gäbe es kein Morgen. Banausen. Ständig nur diese salzhaltige, eiweißübersättigte Kost. Die haben keine Ahnung von abwechslungsreicher Ernährung. Okay, wir haben dafür keine Ahnung vom Schalentiere-Knacken, aber was soll der Neid, wenn man sich, so wie wir, jeden Tag von Crêpes ernähren kann? Abgesehen von heute.
    Unter uns zieht die erste Blechkarawane dahin, die, von Westerland kommend, auf der schmalen Landzunge gen Süden rollt.
    »Vielleicht kommt uns Mensch-Knut ja auf halber Strecke entgegen«, schreie ich meiner Bande zu.
    »Ich hab sowieso keinen Bock, in die City zu fliegen«, motzt Grey. Mit seinen vier Jahren steckt Harrys Sohn gerade mitten in der Pubertät. Eine Erklärung, die wir uns von unserem schlauen Balthasar ständig anhören müssen, um das Verhalten der Jungmöwe zu entschuldigen.
    »Halt den Schnabel«, krächzt Harry. »Solange du noch keine weißen Federn hast, hast du nichts zu melden.«
    Als alleinerziehender Vater hält Harry nicht viel von dem Pubertätsgedusel und pflegt einen eher robusten Erziehungsstil, um Grey die Flausen aus dem Gefieder zu treiben. Vor Greys Geburt führte Harry eine gute Saisonehe mit einer hübschen Möwe aus Westerland, die allerdings das Nachtleben liebte und mit ihrer Rolle als Brüterin irgendwie nicht klarkam, auch wenn das nur ein Teilzeitjob war. Also hat sich Harry Vollzeit aufs Nest gesetzt, obwohl er nicht wusste, wie er Kind und Job unter einen Hut kriegen sollte. Früher war unser Mann fürs Grobe jahrelang Türsteher vor einer Bäckerei. Rein durften die Leute, raus auch wieder. Aber ohne Brötchen. Die hat er ihnen todesmutig im Bodennahkampf abgejagt und dabei einiges an Federn gelassen. Nach Greys Geburt musste er seine Ernährungsweise jedoch den Vorlieben seines Lütten anpassen und suchte sich ein neues Revier. So stieß er zu uns. Später fand er dann raus, dass seine Frau Balzhandlungen mit einer anderen Möwe unterhielt und nur er nichts von der Dreiecksgeschichte gewusst hat. Da kann man Harry schon verstehen, dass er von der Saisonehe nichts mehr hält – und schon gar nicht mehr an eine mögliche Dauerehe glaubt. Balthasar sieht das natürlich anders. Er ist der Meinung, Greys auffälliges Verhalten sei auf die schwierigen sozialen Verhältnisse zurückzuführen, in denen der Junge aufwächst. Neben dem strengen Flügel seines Vaters brauche das Kind auch das weiche Gefieder einer Mutter.
    Grey verdreht demonstrativ die Augen. »Ey komm, chill mal, Papa. In W-Land ist doch um diese Uhrzeit noch tote Hose. Was soll ich denn …?«
    Er kann den Satz nicht vollenden, denn Harry verpasst seinem Sohn mit der Flügelschwinge eine Kopfnuss, dass Grey ins Trudeln gerät. Allein schon seiner körperlichen Imposanz wegen haben wir Harry damals sofort bei uns im Team aufgenommen. Mittlerweile hat er es zum Stellvertreter unseres Scheffs gebracht und wird als heißer Nachfolgekandidat gehandelt.
    Unter uns kracht es.
    Zwei Autos sind aufeinander aufgefahren. Nein, nicht wegen einer plötzlich rot gewordenen Ampel, sondern wegen eines Hinweisschildes. Auf dem steht »Sansibar«. Die Zufahrt zu dem überfüllten Parkplatz ist um diese Uhrzeit nur leider komplett blockiert, was der Vordermann nicht einsehen wollte, weshalb er auf schnurgerader Straße einfach stoppte. Schade, der kostenlose Parkplatz zweihundert Meter weiter ist noch leer, aber der ist eben auch zweihundert Meter weiter und kostenlos. Das ist schlecht fürs Image.
    »Hoffentlich ist Knut nichts passiert«, sagt Jonathan angesichts des Unfalls etwas verängstigt und hält nach dessen quietschgelbem Opel Corsa Ausschau, der uns zwischen den Schattierungen von Meeresblau, Dünenweiß und Heidegrün sofort auffallen müsste.
    »Werden wir gleich sehen«, sagt unser kurzsichtiger Scheff und übersieht dabei natürlich die Ironie seiner eigenen Bemerkung.
    Wir halten stur Kurs auf die Skyline von Westerland. Warum die Menschen diese über zehn Stockwerke hohen Aussichtsbauten als Bausünde bezeichnen, erschließt sich uns nicht. Prima Landeplattformen mit Aussicht über die gesamte Insel und exzellente Ruheplätze.
    Grey bekommt ein Glitzern im Blick und fliegt schneller. Ich weiß, was er denkt. Er will Sturzflug und Steilflug zwischen den Hochhäusern üben und dabei kräftig schreien, weil’s so schön hallt. Haben wir als Jungmöwen auch gemacht, und ich geb zu, mir würde es heute noch Spaß machen.
    »Macht mal
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