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Mordsidyll

Mordsidyll

Titel: Mordsidyll
Autoren: Dirk Zandecki
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Liebe ihres Lebens. Anna freute sich über jeden Morgen, den sie an seiner Seite erwachte. Obwohl sie bereits 41 und er 43   Jahre alt war, träumten sie von gemeinsamen Kindern. Zu Beginn wunderte Anna sich gelegentlich, dass sie   – trotz ihres Alters   – die Welt durch eine rosarote Brille betrachtete. Doch auch in diesem Fall hatte sie geirrt. Die Ehe mit Klaus blieb rosarot, wenn auch das bäuerliche Leben beschwerlich war. In all den Jahren leisteten sie sich gerade einmal einen Herd und Kühlschrank, mehr war nicht möglich. Der neue Kuhstall und die moderne Melkanlage verschlangen ihr ganzes Geld. Klaus hatte sie immer in dunklen Momenten getröstet und beruhigt. Er war sich zu jedem Zeitpunkt sicher gewesen, dass sie mit der Investition ordentlich Gewinn machen würden   …
    Anna schluchzte nun hemmungslos, Tränen liefen ihr in Strömen die Wangen hinunter. Mit zittrigen Händen hielt sie sich an der Spüle fest. Keine fünf Jahre hatten sie diesen Mazcevski eingesperrt! Er, der alles zerstört hatte!
    Â»Ist das fair?«, rief Anna verzweifelt aus.
    Sie spürte, wie eine unbändige Wut in ihr aufstieg. Nein, das war nicht gerecht! Er musste dafür büßen! Wenn der Staat es nicht tat, musste sie eben selbst für Gerechtigkeit sorgen! Sie würde Klaus rächen! Drei Tage … Sie würde da sein!
    Hasserfüllt warf sie den Brief in den Müll, bevor sie ein Papiertaschentuch aus der Küchenschublade nahm und sich schnäuzte. Sie versuchte, sich zu beruhigen. Ihr Blick fiel nach draußen, wo der Traktor im Regen vor der windschiefen Scheune stand, die über Eck an das alte Bauernhaus angebaut worden war. Sie fühlte sich leer, doch sie musste weitermachen. Wie so oft wartete der Hof und gönnte ihr keine Pause. Der Traktor musste schnellstens in die Scheune zu den anderen Maschinen gefahren werden. Und es war allerhöchste Zeit, die Kühe zu füttern.
    Anna wischte sich die letzten Tränen von der Wange und ging in den Flur. An der Haustür nahm sie ihren grauen Arbeitskittel vom Nagel, zog ihn an und schlüpfte in ihre lehmverschmierten grünen Gummistiefel. Mit geübten Handgriffen band sie ihr schulterlanges, blondes Haar zu einem Pferdeschwanz zusammen. Als sie hinaustrat, blies ihr die kühle Aprilluft entgegen. Immer noch trieb der Regen dunkle Schwaden über das Gehöft. Von den bewaldeten Anhöhen des Umlands wehte der würzige Geruch von Holz und frischem Gras herüber. Auf den Hecken zeichnete sich der erste grüne Schimmer ab und von den Osterglocken, die sie auf der Wiese neben dem Hof gepflanzt hatte, waren die ersten gelben Tupfer zu sehen. Annas Blick folgte dem gepflasterten Weg, der sich am Fachwerkhaus vorbei den Hügel hinaufschlängelte. Am Waldrand grasten drei Rehe, doch Anna wandte sich ab. Heute hatte sie keinen Sinn für die idyllische Natur, in der sie lebte. Sie starrte hinauf zu dem Kuhstall auf der Anhöhe, den Klaus mit der neuen Melkanlage einschließlich rostfreier Milchtanks und dem Güllebecken hatte errichten lassen. Für all das war sie nun allein verantwortlich.
    Das Gejaule ihrer Katzen schreckte Anna aus der lähmenden Melancholie. Die drei rauften sich vor der Gerätescheune mit nassem und struppigem Fell um eine abgemagerte Maus, die dabei Stück für Stück in ihre anatomischen Einzelteile zerlegt wurde. Anna seufzte und ging mit hängenden Schultern zum Trecker. Das ganze Gewicht der Welt schien auf ihr zu lasten.

Kapitel 2
    21. April

    Da Anna sich kein eigenes Auto leisten konnte, war ihr an diesem regnerischen Tag nichts anderes übrig geblieben, als in aller Frühe von Ratemicke per Bus nach Olpe zu fahren, um von dort die Bahn zu nehmen. Nun saß sie endlich im Bus zur Justizvollzugsanstalt in Attendorn. Sie wusste aus Mazcevskis Briefen, dass man ihn vor zwei Jahren von Werl dorthin verlegt hatte. Auch wenn er in jedem seiner Schreiben betont hatte, wie leid ihm alles tat, sie konnte ihm nicht verzeihen.
    Anna saß steif auf der Sitzbank aus rotem Kunstleder. Die dampfende, nasse Kleidung der Menschen um sie herum verströmte einen muffigen Geruch. Sie hatte sich an diesem Morgen bewusst für ihren beigefarbenen Regenmantel und ein unauffälliges, dunkelblaues Kopftuch entschieden. Obwohl sie es fest umgebunden hatte und kein Haar hervorlugte, traute sie sich nicht, jemandem in die Augen zu
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